Leaving China
18 10 2013Nach sechs Wochen China will ich nun weiterreisen nach Vietnam. Das Visum um gibt es beim vietnamesischen Konsulat in Nannin. Doch mir graut vor einer weiteren chinesischen Großstadt (7 Millionen) und ich habe das Komplett-Paket einer Reiseagentur im lauschigen Guilin gebucht: Visum besorgen, Bus nach Nanning und von dort am nächsten Morgen weiter mit dem Bus nach Hanoi. Der Pass würde direkt in das Hotel in Nanning gebracht, hieß es. Und dort bin ich nun gestrandet.
Hotel in Nanning
Das Hotel – ein luxuriös wirkender Palast mit zwei riesigen Marmorsäulen in der Hotelhalle, das das hostel für mich gebucht hat, weil es direkt an der busstation liegt, lässt mich ohne Pass nicht einchecken. Nur zum Vergleich: so haben wir sonst gewohnt!
Hostel in Chengdu
Inzwischen hänge ich schon seit zwei Stunden in den roten Sesseln in der Lobby herum und starre auf die riesigen Glastüren. Der Kurier komme so schnell wie möglich, hat der Mann von der Agentur mir am Telefon versprochen. Er hieß übrigens „Forest“. Chinesen, die mit Westlern zu tun haben geben sich oft westliche Namen.
Die supernette Frau vom backstreet hostel in Guilin, die die ganze Sache für mich organisiert hat, meinte schon warnend, es sei aber ein chinesisches Hotel – ich so : well, this is China! Da hat sie gelächelt und gemeint, es spräche möglicherweise niemand englisch, und so ist es auch. Die junge Frau, die mich nicht einchecken wollte und diverse Telefonate führte, bevor ich in die Wartezone gebeten wurde, konnte ein paar Brocken Englisch, ist aber inzwischen auf hohen Hacken in den Feierabend gestöckelt. Nebenbei: Ausländer müssen in China ihren Pass bei sich führen, wer ohne gültiges Visum aufgegriffen wird, muss eine Strafe von ca. 50 Euro pro Tag zahlen, die in Haft umgewandelt werden kann. Wie viele Hinrichtungen gibt es in China jedes Jahr? Waren das 10 000?
Die Fahrt war anstrengend. Es regnet schon den ganzen Tag, die Landschaft liegt eher im trüben. Nach einer Weile stieg die Straße immer mehr an, eine enge Fernstraße voller Laster, steile Abgründe taten sich auf, etliche Unfälle mit grauenhaft zerquetschten Autos, Pkws wie LKWs.
Wir standen fast eine Stunde im Stau, eingekeilt zwischen mächtigen Lastern, auf dem Bildschirm vorne im Bus schüttelten blonde Schlampen ihre knappen roten Fransenkleider und liessen die Hüften kreisen.
Als es dann endlich weiterging, drängten sich alle an die Fenster, sahen sich das Massaker genau an, machten noch ein Foto und sackten unter lautem Wehklagen wieder auf ihre Sitze. So machten wir erst nach iStunden die erste Pinkelpause, die ich zu einem kleinen Exkurs über chinesische Toiletten nutzen möchte.
Je gepflegter das Lokal, desto höher sitzt man. In gediegenen Restaurants also ganz westlich, gern auch mit rotierender Toilettenbrille, die vor jeder Benutzung automatisch desinfiziert wird. In der nächsttieferen Kategorie gibt es dann die französische Toilette, zum hocken, nicht selten mit Lichtschranke: sobald man aufsteht, wird gespült. An den Bahnhöfen sind die Toiletten dann eher basic. Die Türen – so vorhanden- sind nur etwa einen Meter hoch und selten abzuschließen, oft stehen sie auch einfach auf. Chinesinnen pinkeln ungeniert in Gesellschaft. Manchmal zieht sich durch die Kabinen auch einfach eine Rinne, so wie in Kuhställen. Man bzw. frau hockt sich vor die Rinne oder breitbeinig drüber. Auf dem letzten Busbahnhof gab es neben den Kabinen ein Schaufelrad, auf das aus einem Schlauch ein kleines Rinnsal lief. Sobald der Wasserbehälter voll war, kippte es in die Rinne – Spülung!!! Die Geruchsentwicklung ist beträchtlich, aber im Zweifelsfall würde ich selbst diese Aborte manchem deutschen Autobahn vorziehen. Papier gibt es übrigens nicht. Das hat jeder in der Tasche und immer bei sich, in Form von kleinen Päckchen Papiertaschentüchern.
Doch so befremdlich es bisweilen um die Ausscheidungen bestellt ist, so blitzeblank und hygienisch geht es bei der Nahrungsaufnahme zu. Nicht selten liegt in den Restaurants auf der Tischdecke eine Plastikfolie, die nach jedem Essen mitsamt der Servitten, Knochen und anderer Essensreste entfernt wird. Und es gibt immer viele Reste, denn das Getier wird unzerlegt gebraten und dann kleingehackt. (Das Metzgerhandwerk hätte hier goldenen Boden!) Das Geschirr steht in Folie eingeschweisst auf dem Tisch bereit, und in Strassenlokalen wird oft eine Plastikfolie über die Reisschalen oder Teller gelegt und man isst dann davon.
Doch zurück in den Bus! Als es nach der Pause weiterging, hatten sich alle meine Mitreisenden mit Proviant eingedeckt, und auch ich war ziemlich hungrig, denn bis dahin musste ich von der Mandarine zehren, die meine nette Nachbarin mir angeboten hatte. Ich packte glücklich mein Eis aus und sah mich um. Einer knabberte einen heißen Maiskolben, ein anderer ein aufgespießtes Würstchen und meine nette Nachbarin riss eine Plastikverpackung auf und schob sich genussvoll einen Hühnerfuss in den Mund.
Apropos Füße: Ich kann China nicht verlassen, ohne über die Kissing Fish zu schreiben. Aber vielleicht reicht auch ein Foto:
Kissing Fish Spa in Guilin
In der Fußgängerzone in Guilin gibt es jede Menge dieser Salons, und alle, die darin sitzen, Grinsen selig und behaupten, es kitzele nur ein bisschen und anschließend habe man ganz saubere, weiche Füße.
Füße bei die Fische
Statt der Füße wollte ich mein Haar verschönern lassen und habe einen chinesischen Friseursalon aufgesucht: waschen und schneiden bitte. Ich wurde in einen plüschig tapezierten Raum mit fünf komfortablen Liegen geführt, der eher an einen Massagesalon erinnerte, und wollte schon Protest einlegen, da sah ich, dass sich am Kopfende der Liegen jeweils ein Waschbecken befand. Die Haare werden im liegen gewaschen, langsam, und gründlich. Auch die Ohren werden gereinigt.
Zurück auf der Autobahn. Nach der Pause waren alle wieder bei Kräften, auch unser schmächtiger, kaum zwanzigjähriger Fahrer und dann hielt der Bus plötzlich mitten in einer Satellitenstadt einige Kilometer vor Nanning an und eh ich mich versah, fand ich mich im Nieselregen an einer chinesischen Schnellstraße wieder, in der Hand einen Zettel mit dem Namen des Hotels, lauter chinesische Zeichen. Und nun? Ich fasste mir ein Herz, sprach ein paar Passanten an – und wurde von einem jungen Chinesen mit seinem Elektroroller direkt zu meinem Hotel kutschiert. Die jungen Chinesen sind häufig sehr hilfsbereit und aufgeschlossen. Wer studieren will, muss Englischkenntnisse nachweisen und diese Sprachkenntnisse bauen die Berührungsängste wohl ein Stück weit ab.
Inzwischen hat der Kurier mir tatsächlich meinen Pass gebracht, ich habe ein Zimmer bezogen, sogar noch was Feines gegessen. Da es morgen früh losgeht, habe ich noch einen kleinen Gang gemacht, um zu schaun, wo eigentlich der Busbahnhof ist. Dabei kam ich an einem Schild vorbei, das mich irritiert hat:
Ich glaube nicht, dass es sich um eine Tierklinik handelt, in der kranke Hunde, Hühner und Ziegen behandelt werden, zumal das Schild vor einem Restaurant stand.
Ein letzter Blick auf meine Lieblingslandschaft:
am Li bei Yangshuo
Nach 6 Wochen China sage ich: Bye-Bye!
Liebe Bettina,
schön wieder von Dir zu lesen und danke, dass Du nur die vielen Hinrichtungen kurz erwähnt hast.
Meine Bewunderung für Deinen Mut steigt immer weiter. Mir ist schon beim Lesen der Geschichte mit Deinem Pass der A… auf Grundeis gegangen. In der Fremde mit Ungewißheit und Zweifeln geduldig warten, ob alles klappt … Da kann man ja nur mit einer gehörigen Portion westlichem Gottvertrauen und Fatalismus überleben. Bist Du denn noch in Begleitung?
Jedenfalls bleibt es spannend und ich freue mich weiterhin auf Deine Fotos und Berichte. Liebe Grüße aus dem herbstlichen Hamburg, Mathias
Liebe Bettina,
ich komme jeden Tag auf deinem Block vorbei, bin so neugierig und genieße deine Reisebeschreibungen und die Fotos aus einem fernen Land. Vietnam ist dein nächstes Ziel! Aufregend, spannend! Du bist unterwegs und ich bin beeindruckt, von deinem Mut, deiner Coolness und Leidenschaft.
Fühle dich umarmt,
Marita
auf dass dir niemals die papiertücher ausgehen mögen! 😉 sollten wir wochenlang nichts von dir hören, dann macht sich die bloggemeinde auf und sie wird den dann vermutlich verloren gegangenen pass wieder auftreiben und dich aus den klauen von fiesen gefängniswächtern retten und mit Sicherheit wird’s dann auch Hinrichtung geben!! lg. heike
Hallo,
toller Reiseblog. Ich bewundere deinen Mut so ganz alleine durch China bzw. Asien zu reisen. Weiter so und viel Spaß in Vietnam!
LG
Upps, wer ist denn dieser Chinaspezialist da oben????
Jetzt bist du schon auf dem Weg nach Hanoi. Deine Berichterstattung lässt mitfühlen und mitzittern. “ Aber wo kämen wir hin, wenn niemand ginge, um zu schauen wohin man käme , wenn man ginge ? “ 🙂 Du machst das schon mit einer abenteuerlichen Portion Lebensenergie…….Lieber Gruß auf die andere Seite der Welt………..
Bettina, Bettina, oh Mann, deinen Mut bewundere ich.
Nun verfolge ich schon seit einiger Zeit deine Reise, sitze genüsslich am Schreibtisch und erlebe deine Abenteuer hautnah mit.
Das ist verdammt luxuriös für mich, für dich meistens genau das Gegenteil.
Wenn ich demnächst die stillen Örtchen aufsuche, werde ich an dich und deine Erlebnisse denken …
Ich folge dir weiter, wohin du mich auch führst, denn es macht Spaß, deinen Blog zu lesen.
LG
Karin