Amok in Phnom Penh

26 11 2013

Nach 24 Stunden in Phnom Penh habe ich die Nase gestrichen voll. Schon die Anreise ist kein Vergnügen. Statt gemütlich den Mekong heraufzuschippern, finde ich mich in einem Schnellboot wieder, das durch geöffnete Vorder- und Hinterluke seinen Luftwiderstand herabsetzen will, um noch schneller zu sein, was dazu führt, dass die armen Passagiere sich hinter hochgehaltenen Schwimmwesten verschanzen, um nicht klatschnass zu werden und mit einer Mittelohrentzündung zu enden.

Dann das Gerangel der Tuc-Tuc-Fahrer. Kaum hat man wieder festen Boden unter den Füssen, stürzen sie sich wie die Geier auf die frisch angekommenen Touris. Mein Hotel sei aber sehr weit entfernt, mindestens 7 Kilometer und das koste 7 Dollar, erklärte mir ein junger Mann. Als ich dann lieber auf seine Dienste verzichten will, wird er laut und beschimpft mich.

Am späten Nachmittag mache ich mit einer Holländerin, die ich im Mekongdelta kennengelernt habe, einen ersten Gang in die Stadt. Auf dem Rückweg reißt ihr ein Motorradfahrer den Brustbeutel mit Geld vom Hals. 

Vor Schreck packe ich im Hostel alles von Wert aus der Tasche, verstaue es an einem sicheren Ort und gehe nur mit Geldgurt zum Barbecue auf der Dachterrasse. In der Nacht tue ich kein Auge zu. Schlafsäle mit partyhungrigen jungen Menschen sind wohl doch nichts für mich. Am nächsten Tag ist meine Kamera verschwunden. Futsch. Verlegt, verloren, geklaut – keine Ahnung. Jedenfalls weg. (Und dann versuch mal, in Phnom Penh eine Kamera aufzutreiben.)

Trotz dieses gruseligen Einstiegs bleibe ich. Irgendetwas hält mich hier, ich weiß noch nicht, was.

Als Sehenswürdigkeiten preist der Reiseführer die „killing Fields“ und das Foltermuseum an. Vielen Dank, nichts für mich. Beides geht auf Pol Pot zurück, der das Land in den Siebziger Jahren dermaßen drangsaliert hat, dass es sich bis heute nicht davon erholt hat. Zudem wurde es von den Amis gebombt und später mit Embargo belegt. Jetzt tummeln sich hier NGOs und ältere Herren mit jungen Dingern am Arm. An der deutschen Botschaft lese ich einen Aushang, dass Männer über fünfzig jetzt keine Kambodschanerin mehr heiraten können und dass in manchen Fällen eine Einverständniserklärung der Eltern verlangt wird.

Statt der bluttriefenden Zeugen der Vergangenheit schaue ich mir lieber den Königspalast an. Was für ein Märchenschloss!

 

In eigens zu diesem Zweck errichteten Elefantenhalle hat der König die Elefanten bestiegen, auf denen er dann durch die Stadt geritten ist.

In der benachbarten Silberpagode besteht der Boden aus reinem Silber. Und das stammt aus den Münzen, die nach dem Ende der Kolonialzeit eingeschmolzen wurden. 

Ökonomische Erwägungen mögen Pate gestanden haben, als das Standdenkmal Napoleons recycelt wurde. Der Kopf wurde abgeschlagen und durch den Kopf des Königs von Kambodscha ersetzt. Praktischerweise waren sie von ähnlicher Statur.

Die Khmer haben eine ganz eigene, elegante Ästhetik.

 

 

 

Tor des Königspalastes

Viel Gold, alles fein ziseliert, voller Anmut und Grazie, aber dabei zurückhaltend, auch in den Tänzen. Am Abend sehe ich mir eine Aufführung einer Tanzschule an, in der benachteiligte junge Menschen, von denen es hier eine Menge gibt, eine künstlerische Ausbildung bekommen – und bin begeistert. Da tanzt eine staksige Achtzehnjährige mit Segelohren neben einem grossen Talent, einer Frau mit enormer Bühnenpräsenz und feinen, präzisen Bewegungen. Allen gemeinsam ist eine riesige Spielfreude, die sich in einer farbenprächtigen Choreographie wunderbar entfalten kann. Pol Pot hatte es insbesondere auf nutzloses Gesindel abgesehen wie Künstler, Ärzte, Lehrer, Intellektuelle. Schon das Tragen einer Brille war verdächtig. Und so hat die Gesellschaft noch immer in vielen Bereichen enormen Nachholbedarf. 

Im Nationalmuseum bestaune ich alten Skulpturen der Khmer mit ihren ebenmäßigen, geheimnisvollen Gesichtern. Vor vielen der Buddhas werden Räucherstäbchen abgebrannt, und meist sitzt daneben jemand, der duftende weiße Blüten auf Spießchen fädelt, die gegen ein Entgelt geopfert werden können.

Die Religion spielt eine große Rolle, genauer gesagt der Buddhismus, der aber zwanglos um die Mythen und Götter des Hinduismus ergänzt wird. 

Manche Strassen wirken – von den vielen blühenden Gestrüppen und Palmen einmal abgesehen – fast französisch. Hohe, koloniale Bauten mit schmiedeeisernen Gittern und Erkern, Anklänge an Jugendstil und Art  deco. Die Menschen sind freundlich, haben ein herzliches, zurückhaltendes Lächeln, ganz anders als die Vietnamesen, die einen ja auch gerne mal anfassen. 

Und dann AMOK, eine Köstlichkeit der Khmer-Küche. Fleisch oder Fisch werden in Kokosmilch geschmurgelt, mit diversen Zutaten wie lemongras, Ingwer, basilikum versetzt. Dazu Reis. Im Original wird alles in ein Bananenblatt gewickelt und ab in den Ofen… Hhhmmmmm!!!

Eines Morgens steht ein orange gekleideter Mönch vor dem hostel, safranfarbener Schirm in der einen, Bettelschale in der anderen Hand. Man gibt ihm Geld. Am Nachmittag kommt dann in der Stadt ein Mönch auf mich zu. Er lächelt milde, segnet mich, streift mir ein Armband aus Holzperlen übers Handgelenk. Sein warmer Blick tut so gut! Dann hält er mir die Schale hin und ich lege einen Dollar hinein. Da lächelt er wieder mild und sagt: two Dollar.

Kambodscha ist eines der ärmsten Länder der Welt. An der prächtigen Promenade werden keine Hühnchenspiesse oder andere leckere snacks verkauft wie in Vietnam, sondern Schnecken, die man am Mekong sammeln kann. Und dort stehen Vogelverkäufer mit Käfigen voller Vögel. Ob die auch zum Verzehr bestimmt sind? Oder halten die Leute sich gerne Vögel? 

Weder das eine, noch das andere, finde ich heraus. Am Ufer gibt es kleine buddhistische Tempel, in denen das  Volk opfert und betet. Man kauft Räucherstäbchen, Lotosblumen oder ein paar dieser Vögel, die dann am Ufer des Mekong wieder in die Freiheit entlassen werden. 

 

Lotusblumenstand am Mekong

Hier beobachte ich auch Kinder beim Baden oder Drachen steigen lassen. 

Später treffe ich ein paar von ihnen in einer Nebenstraße wieder, sie ziehen johlend durch die Gassen, fast nackt, Strassenkinder, und unwillkürlich halte ich meine Tasche fest. 

 

Strassenkinder in Phnom Penh

Es dauert nicht lange, da sehe ich sie ein drittes Mal. Ein kleiner Junge flitzt im Affenzahn die Strasse runter, in der Hand eine nagelneue Trainingsjacke a la Adidas. Ein Mann verfolgt ihn, vermutlich der Inhaber des Klamottenstandes. Der Kleine rennt so schnell er kann, seine Hose rutscht ihm runter, aber er hat für solche Details keine Zeit. Schliesslich holt der Große ihn doch ein, schnappt seine Jacke und gibt der Gang ein paar hinter die Löffel. 

Nach ein paar Tagen komme ich auch in die abgelegeneren Gegenden der Stadt und nehme wahr, was man auf den ersten Blick übersieht. Die Märkte der Einheimischen, in denen die Metzgerinnen mitten zwischen Fleisch und Knochen auf dem Tisch sitzen.

 

Oder das Sarggeschäft zwischen Bar und Massagesalon. Blumen verzierte Holzsärge werden angeboten, und ein paar Häuser weiter kann ich zuschauen, wie sie gemacht werden. Vor der Werkstatt parken ca. 10 Meter lange, offene Wagen, zum Teil schlicht, zum Teil über und über verkleidet mit Holzschnitzereien von Drachen. So einen Wagen habe ich schon mal voller Menschen durch die Stadt fahren sehen und erst jetzt verstehe ich, was es ist.   

Viele leben auf der Strasse. Schlafen in Hängematten oder am Straßenrand, gehüllt in ein paar Lappen, mit ihren Kindern. Immer wieder sehe ich Lastwagen voller Menschen oder ganze Heufuder durch die Stadt tuckern, die eigentlich eine moderne Metropole sein will.

Und es ist heiß, drückend heiß. Gegen Mittag machen viele ein Nickerchen, ganz gleich, wo sie gerade sind. Manche legen einfach den Kopf auf den Tisch, andere strecken sich auf ihrem Roller aus.

Mittagsschläfchen in Phnom Penh

Ich bleibe fast eine Woche und habe Phnom Penh am Ende richtig ins Herz geschlossen. Gegenüber dem Hotel, in das ich umgezogen bin, liegt eine Maternity Klinik. Hier kommen Babies zur Welt und mir gefällt der Gedanke, dass diese Babies eine bessere Zukunft haben werden.

 

 

 

 

 

 

 



Der Mekong – das große Wasser

23 11 2013

Saigon, 5 Uhr 30. Ein Hahn kräht mitten in der Stadt. Hält jemand Hühner auf dem Balkon? Oder wird der arme Gockel gerade auf dem Markt feilgeboten und kräht ein letztes Mal, bevor er im Kochtopf landet?

Kurz darauf erklingt eine Blaskapelle. Unter dem Fenster zieht ein Beerdigungszug vorbei. Buddhisten in grauen Gewändern gehen voraus, ein paar starke Männer tragen den Sarg, gefolgt von den Trauernden in weißer Kleidung. Den Schluss bildet dann die Kapelle, bestehend aus Blasinstrumenten und Trommeln. Sie spielen eine traurige Weise, die mir bekannt vorkommt, vielleicht aus einem Musical.

Ich packe meinen sieben Sachen, bald kommt der Bus. Drei Tage Mekongdelta und von dort weiter nach Kambodscha. Das Mekongdelta liegt etwa 200 km südwestlich von Saigon, es ist die Mündung des großen Wassers, wie der Mekong auch genannt wird.  Er entspringt fast 5000 Kilometer nördlich in den Bergen Tibets, bringt jede Menge Schlamm und Partikel mit sich, die er bei der jährlichen Überschwemmung nach dem Monsun auf den Feldern hinterlässt. Das macht sie sehr fruchtbar, und so ist das Mekongdelta die Reisschüssel Vietnams. 

Obwohl wir die Stadt schon lange hinter uns gelassen haben, sieht man am Straßenrand immer noch Häuser, Dörfer, Siedlungen. Das Mekongdelta ist dicht besiedelt, es gehört zu den bevölkerungsreichsten Regionen Vietnams. Die Landschaft wird grüner: Reisfelder. Der Guide erklärt uns, dass man bis zu dreimal im Jahr ernten kann. Der Reis wird auf Pflanzfelder gesät, und die jungen Pflanzen kommen dann auf das gewässerte Reisfeld. Der Reis lässt die Felder grün schimmern, dann werden sie sattgrün, schließlich gelb. Der Reis ist reif. Die Felder werden wieder trocken gelegt, der Reis wird geerntet, das Stroh auf den Feldern verbrannt und die Asche ist ein guter Dünger. 

Immer mehr Flüsse, Flussarme und Kanäle prägen die Landschaft. Es ist nicht ein einziger Fluss, der hier ins Meer strömt, sondern er hat gleich neun Arme und wird deshalb „neun Drachen Fluss“ genannt. In einem Dorf machen wir Halt, laufen durch Kokosfelder. Es gibt zwei Arten von Kokospalmen, erklärt der Guide, die hohen und die niedrigen Wasserkokospalmen, bei denen die typischen Blätter gleich am Boden ansetzen. Kanäle und Gräben durchziehen den schlammigen Grund, der seltsam glattgestrichen aussieht. Zweimal am Tag kommt die Flut, dann wird alles hier überschwemmt. Alle Häuser stehen Stelzen, so dass Die Flut ihnen nichts anhaben kann. Wir steigen in wacklige Bötchen, und werden durch die braunen Wasser geschippert, über die üppige grüne Vegetation ragt. Vögel schreien, Hunde bellen, riesige Schmetterlinge flattern herum. Ob es hier Krokodile gibt?

Wir machen Halt in einer Manufaktur für coconut Candy. Das Kokosmark wird geraspelt, ausgepresst und die entstandene Flüssigkeit kocht man mit Zucker zu einem zähen Sirup. Dazu geben die Frauen Erdnüsse, Ingwer, Kakao oder andere Köstlichkeiten. Dann rollen sie die zähe Masse aus, formen Würstchen, legen die in Holzformen und schneiden daraus einzelne Bonbons. Die verpacken sie praktischerweise in Reispapier – so kann man das Papier gleich mitessen. 

Wie das Reispapier gemacht wird, sehen wir in einer anderen Werkstatt : Der Reis wird ein paar Stunden eingelegt, bis er seine Stärke abgegeben hat. Die Körner selbst dienen anschließend als Viehfutter, die weiße Brühe wird auf einem feinen Netz ausgestrichen und über Wasserdampf gegart. Der hauchdünne Fladen kommt zum Trocknen in die Sonne. 

In einer Obstplantage bewundern wir besonders prächtige Exemplare von Ananas, Papaya, Mango, Drachenfrucht und anderen Früchten, die ich noch nie gesehen habe. Das Mekongdelta ist außerordentlich fruchtbar – und wir probieren von all den Köstlichkeiten. 

Auch eine Fischfarm steht auf dem Programm. Von außen würde man ein normales Schiff vermuten, vielleicht ein Hausboot. Aber das Boot ist an den Seiten offen, so dass der Mekong unter ihm durchfließt, und im Rumpf des Schiffes befindet sich das Fischgehege. Auf dem Schiff wird auch das Futter zubereitet, und während wir uns die großen Gerätschaften anschauen, öffnet der Guide eine Bodenklappe, streut eine Handvoll Fischfutter ins Wasser schon balgen sich die Fische darum, dass das Wasser meterweit aufspritzt. 

Am nächsten Morgen heißt es wieder früh aufstehen. Wir wollen zu den „Floating markets“ von Cai Rang. Straßen und Marktplätze gibt es hier nicht; das Leben spielt sich auf dem Wasser ab. Es ist eine schöne Fahrt über den breiten, trägen Fluss, auf dem die Morgensonne glitzert. Dann erreichen wir den Markt. Ein Motorboot fährt neben uns her und bietet heissen Kaffee an. Die Boote der Händler liegen tief, sie sind voller Waren. An hoch aufragenden Masten baumeln besonders schöne Exemplare der Früchte und Gemüse und zeigen an, was verkauft wird. Kartoffeln oder Kürbisse oder Melonen… 

Am Nachmittag geht es in ein Naturschutzgebiet, Tra Sun Cajuput Forest. Von einer Brücke blicken wir über eine weite Wasserfläche, aus der ein paar wenige Pflanzen und Zäune ragen. Wir sind inzwischen weiter im Norden, und hier bestimmen nicht mehr Ebbe und Flut das Leben am Mekong, sondern der jährliche Monsun. Nach der Regenzeit führt der Mekong soviel Wasser, dass große Gebiete überschwemmt werden. Jede Menge Schlamm und Sediment setzen sich ab. Und das sei genau, was die Reisfelder brauchen, erklärt der Guide.

Der Wald steht unter Wasser. Mit einem Motorboot fahren wir hinein, steigen dann in kleine Holzbarken um, die wie venezianische Gondeln zwischen den Bäumen entlanggleiten. Es ist ganz still, wenn man mal von den Geräuschen der Natur absieht, von den Insekten und vor allem den Vögeln, deren seltsame Laute durch den Wald hallen wie Liebesschreie. Die Bäume ragen schwarz, grau, grün aus dem schwarzen Wasser. Schneeweiße anmutige Vögel fliegen auf oder sitzen bewegungslos im Geäst. Alle sind wir still geworden und staunen nur noch. Wahrscheinlich steigen hier im Morgengrauen die Geister aus den Sümpfen. 

Dann öffnet sich der Wald und wir gleiten über eine große bewachsene Fläche. Blätter so groß wie Suppenteller bedecken die Oberfläche und zartrosa  Lotusblumen recken sich dem Himmel entgegen. Die Blume des Buddhismus. Am Himmel zeigt sich das erste Abendrot und die Silhouetten der großen Vögel zeichnen sich dunkel ab. 

Am dritten Tag statten wir einem Cham – Dorf einen Besuch ab. Die Cham haben diese Gegend bewohnt, bis sie von den Viet vertrieben wurden. Ürsprünglich kommen sie aus Indien, heißt es. Als ich über die wackelige Brücke vom Boot ins Stelzenhaus gehe, in dem wir erwartet werden, erinnere ich mich an die Cham-Tempel von My Son, die ich vor ein paar Wochen gesehen habe. Im Haus sitzt eine Frau mit Kopftuch an einem Webstuhl und zeigt uns, wie sie die traditionellen Tücher webt. Natürlich dürfen wir auch gern welche kaufen. Die Cham sind zum Teil Hindus, zum Teil Moslem wie in diesem Dorf und man spricht in Vietnam durchaus respektvoll von den verschiedenen „ethnic minorities“.

Ich fahre mit einem Schnellboot weiter den Mekong hinauf nach Kambodscha, zusammen mit einer Gruppe italienischer Touristen ( seven friends from Mantua), ein paar Franzosen und Holländern, Amis, Deutschen, Vietnamesen. An der kambodschanischen Grenze müssen wir an Land, einzeln durch die Passkontrolle und bekommen unser Visum. In Vietnam wurde für die Opfer von Agent Orange gesammelt und für benachteiligte Kinder, hier steht neben den Fenster des Grenzbeamten eine Sammelbox für Drogenopfer. 

Noch immer ist der Fluss beeindruckend breit, vielleicht einen Kilometer, das Wasser ist braun und wälzt sich träge zum Südchinesischen Meer. 



Coconut Beach, Coconut Prison: Südvietnam

15 11 2013

Als ich in Mui Ne, einem Küstenort in Südvietnam, aus dem Bus steige, schimmert das Meer in der Abendsonne, die Palmen wiegen sich in der leichten Brise, seafoodrestaurants säumen die Strasse und mein Hotel hat die verheißungsvolle Adresse coconut Beach. 

Seafoodrestaurants in Mui Ne  

Die Fahrt war anstrengend und ich gehe früh zu Bett, am nächsten Morgen bin ich schon bei Sonnenaufgang putzmunter und sehe den Fischern bei der Arbeit zu. Sie tragen Gurte um den Bauch, haken ich am Netz fest und stemmen sich mit aller Kraft dagegen. Dann wird der Haken umgesetzt und weiter geht’s. Endlich haben sie das  grosse halbkreisförmige Netz soweit herangezogen, dass nur noch eine kleine runde Fläche übrig ist. Der Fang dieses Morgens. Körbeweise schöpfen sie an Land, was im Netz ist, und das sind hauptsächlich Quallen. Die Beute wird auf den Strand gekippt, aussortiert, und die Reste trocknen in der Sonne. 

 

 

Die Fischer ziehen das Netz an den Strand 

 

 Sie begutachten den Fang

 

Später beobachte ich die Muschelfischer – oder sollte ich besser sagen: Muschelsucher? Sie stehen im knietiefen Wasser, ziehen einen halboffenen Drahtkasten, der vorne gezackt ist wie ein Rechen, durch den Sand, und sobald er voll ist, halten sie ihn in die Brandung. Das Meer spült den Sand weg, übrig bleiben die Muscheln, die sie mit einem Griff in das Netz katapultieren, das am Kasten hängt. 

Nun weiss ich, wie die Fische und die Muscheln auf meinen Teller kommen, doch in dem Restaurant, wo ich mich an Jakobsmuscheln labe, gibt es auch merkwürdige Dinge auf der Speisekarte. Frösche, Schildkröten und Kobra.

Mui Ne wird vom Reiseführer als ein idyllisches Fischerdörfchen beschrieben  – oder habe ich womöglich die Zeilen über vermehrte Bautätigkeit, Pauschaltouristen und die vielen Russen überlesen? Ebenso wie die Seiten übers Wetter, auf denen schwarz auf weiß steht, dass im November in Zentralvietnam Taifunsaison ist? Hatte ich nicht ursprünglich vor, erst nach Laos und dann nach Vietnam zu fahren, aus genau diesem Grund? Aber ich bin ja gar nicht mehr in Zentralvietnam, sondern in Südvietnam, also ruhig Blut, sage ich mir.

Wir Mitteleuropäer sind keine Taifune gewöhnt, und da kriegt man schon mal Muffensausen, wenn sich die Unwetterwarnungen überschlagen, „Haijian“ auf den Philippinen ganze Landstriche verwüstet und tausende von Menschen ums Leben kommen. Nachdem mein Hotelnachbar mich auf das drohende Unwetter hingewiesen hat, verbringe ich die halbe Nacht vor dem Fernseher, bei CNN. Was, wenn der Taifun seine Richtung ändert und doch im Süden Vietnams aufs Festland trifft? Meine Unterkunft liegt etwa 20 Meter vom Meer entfernt. Die Bilder des Tsunamis vor einigen Jahren fallen mir wieder ein. Soll ich nicht doch besser verduften? Aber ich bin schon mal vor dem drohenden Taifun ins Landesinnere geflüchtet…

Nach dem Taifun ist vor dem Taifun… 

Dann trudeln Mails ein: Bring dich in Sicherheit! Neue Nachrichten in der Glotze: der Taifun hat seine Richtung verändert, nicht mehr Nordwest, sondern West. Immer wieder falte ich die Vietnamkarte auseinander, rechne die Entfernung aus, betrachte die Wettergraphiken. Die vietnamesische Regierung beginnt mit der Evakuierung der bedrohten Region. 

Vorsichtshalber trage ich mich auf der Krisenliste des auswärtigen Amtes ein, damit sie mich dann wenigstens vermissen. Ich soll auch meine Krankenkasse angeben, für den Fall des Rücktransportes. 

Ich reise nicht überstürzt ab, sondern warte zu und tausche mich mit mit anderen Travellern aus. Die sind auch beunruhigt, beobachten die Lage, mahnen aber zur Vernunft. Hier ist nicht Zentralvietnam. Der Taifun soll 800km nördlich auftreffen. Dann spreche ich die Leute vom Hotel an.Taifun? Welcher Taifun?, sagt die junge Frau, die mir immer die Mangopfannekuchen und den köstlichen Kaffee serviert. Taifune gibt’s hier nicht, sagt sie. Nur in Zentralvietnam. Hier gibts höchstens Regen. 

Am Abend vor dem Termin regnet es in Strömen, innerhalb von einer halben Stunde stehen die Strassen unter Wasser. Ob es jetzt losgeht? Zum Flüchten ist es zu spät. Ob der Bus morgen überhaupt fahren wird? Doch das Gewitter zieht vorbei, und nach einer Stunde ist das Regenwasser wieder abgeflossen. Die Nacht bleibt ruhig. Am nächsten Tag fahre ich dann wie geplant mit dem Bus weiter nach Saigon, das hier nur Ho-Chi-Minh-City heißt. Der Taifun, hört man, habe sich abgeschwächt und Vietnam nur noch als Tropensturm erreicht. 

In Saigon bleibe ich nur eine Nacht. Gleich am nächsten Morgen geht es ab zum Flughafen und jetzt will ich endlich die tropische Idylle – und auf Phu Quoc Island gibt es sie noch. Ich beziehe ein einfaches Zimmer in einem Resort – und das ist der Weg zum Strand:

 

 Viet Thanh Resort auf Phu Quoc Island 

Über dem Bett hängt ein Moskitonetz – das erste der Reise. In Anbetracht der vielen Luftlöcher über den Fenstern und im Bad bin ich froh darüber und schlafe wunderbar! Obwohl die Küste von Vietnam 1200 Kilometer lang ist, sind hier auf Phu Quoc Island die einzigen Strände, an denen man den Sonnenuntergang genießen kann – und das tue ich dann auch jeden Abend. Bei einem Papayashake, einem Saigon Green (Bier) oder einem frischen Fisch vom Grill, barfuß, mit Wellenrauschen und amerikanischer Hippiemusik im Ohr. Tagsüber kann man wunderbar auf den Liegen im Schatten rumhängen, Kaffee schlürfen, aufs Meer gucken, was lesen. Und sich einen Sonnenbrand holen. Im Schatten. So ist es schon bald vorbei mit dem süßen Nichtstun und ich mache mich mit Faktor 30, langarmigem Shirt, Sonnenbrillle und Sonnenschirm auf den Weg, die Insel zu erkunden. 

 

Tempelchen am Strand 

 

Mittagsschläfchen am Straßenrand

Tags drauf ist dann Schluss mit lustig. Ich habe mich zu einer Inselrundfahrt angemeldet, und neben einer Pfefferfarm, einer Fischsossenfabrik, einem dicken bunten Buddha und einigen anderen Attraktionen steht auch ein Besuch in coconut prison auf dem Programm, den Resten eines großen Gefängniskomplexes, der zuerst von den Franzosen, dann von den Amerikanern genutzt wurde. Schreckliche Fotos, doch noch schrecklicher sind die nachgestellten Szenen. In Vietnam ist der Krieg noch lange nicht vergessen. Auch die berüchtigten „Tigerkäfige“, in die Amis die gefangenen Vietcong gesperrt haben, sind hier nachgebaut. Ich hatte davon gehört, war dann aber doch schockiert zu sehen, dass sie kaum 50 cm hoch waren, Käfige für Menschen. In coconut prison waren 14 000 Gefangene. 

In Südvietnam wird man viel stärker mit dem Krieg  und seinen Folgen konfrontiert. Als ich nach ein paar Tagen wieder nach Saigon fahre, weist selbst der Taxifahrer auf das „war remnants Museum“ hin, in dem die Brutalitäten und Massaker der Amerikaner dokumentiert werden.  Zum Beispiel waterboarding, das ja immer noch praktiziert wird. Im Aussengelände des Museums werden jede Menge Hubschrauber, Panzer, Aufklärer und andere schwere Gerätschaften ausgestellt. Plötzlich stehe ich vor einem Panzer, der damals hier im Einsatz war, einer von 400 dieses Typs. Oder vor einem der der riesigen Transportflugzeuge, die mir aus Filmen bekannt vorkommen, aus „Apocalypse now “

Vor der Post sitzt ein verkrüppelter Mann und bettelt, mit einem Schild in der Hand: I was Agent Orange.

In Saigon weht ein rauerer Wind als in Hanoi. Überall wird vor Motorradbanden gewarnt, die Touristen die Tasche von der Schulter reißen – und im travellerforum diskutiert man, ob die vermehrte Kriminalität mit der Armut zu tun hat oder mit der Haltung der Gesellschaft zu Kriminalität. Schliesslich wird ja nicht in jedem armen Land geklaut. Inzwischen gehe ich ohne Geldgurt nicht mehr aus dem Haus. Selbst an der Tür des Hotelzimmers, das bei auf der Internetseite, über die ich gebucht habe, als „wirklich sicher“ bezeichnet wird, hängt eine Warnung. 

Vierjährige werden nachts zum Verkaufen von Armbändern in die Cafés geschickt, Mütter schieben ihre missgebildeten Kinder auf Karren durch  die Stadt, viele Krüppel sind unterwegs und verhökern Reiseführer. Aufgebretzelte junge Asiatinnen spazieren Hand in Hand mit alten westlichen Männern, die sich anziehen wie Zwanzigjährige. 

 Und ich wurde noch nie so oft übers Ohr gehauen wie hier. 

Aber es ist schön, am Saigonriver spazieren zu gehen. Saigon ist eine aufregende Stadt. Die Post wurde von Gustave Eiffel gebaut ( ja genau, der mit dem Eiffelturm!), die Kathedrale daneben sieht aus wie direkt aus der Normandie importiert. Notre Dame de Saigon. In der Oper wird die Zauberflöte gegeben. Über der Strasse, direkt vor einem supermodernen Hochhaus, prangt Ho Chi Minh, der Onkel, wie er hier genannt wird.

 

Strassenszene in Ho-Chi-Minh-City 

Er ist allgegenwärtig und wird verehrt wie ein Gott, schliesslich hat er Vietnam von der Kolonialaherrschaft der Franzosen befreit. Hier werden überhaupt eher Menschen verehrt als Götter, jedenfalls nicht der eine Gott wie im Christentum. Schon in China haben mich die Altäre für Konfuzius irritiert, und hier huldigt man seinen Ahnen. Man kann doch nicht Menschen zu Gott machen, will ich innerlich protestieren. (Aus der Kirche ausgetreten oder nicht – zwanzig Jahre katholische Erziehung lassen sich nicht einfach so vom Tisch wischen!) Und was ist mit Jesus? War der vielleicht kein Mensch?, meldet sich da eine weitere Stimme. 

Ho-ho-ho-chi-Minh – das war eine Parole auf den Demos meiner Jugend. Obwohl ich nicht viel über Ho wusste, habe ich laut mitgebrüllt. Heute ist Vietnam das Land, aus dem unsere T-Shirts kommen. Die Container in der Schiffahrt haben es möglich gemacht, dass der Transport nur wenige Cent kostet. Vietnam. Für viele Menschen noch immer wie eine große Wunde. Mit Schuld verbunden. Und Vietnam zeigt jetzt diese Wunde. Die Geste wirkt aggressiv. Wer hier reist, kann nicht darüber hinwegsehen. Ich habe die Cu-Chi-Tunnel nicht besichtigt, nicht einmal die Hospital Cave auf Cat Ba Island, und dass von dort die boat-People flüchteten, habe ich auch erst später zur Kenntnis genommen. Das war zur Zeit des kalten Kriegs, als man schon als hilfsbedürftig galt, wenn man aus einem kommunistischen Land kam. In Haiphong, wo ich auf den Bus nach Hanoi gewartet habe, nahm der Indochinakrieg seinen Anfang. Am 17.  Breitengrad, von dem ich nur knapp entfernt war, verlief die Grenze zwischen Nord – und Südvietnam. Aus  Hue, das ich wegen der ersten Taifunwarnung nicht besucht habe, kamen die Berichte über den Vietnamkrieg. 

Mein Hotel ist modern und blitzeblank. Die Jungs, die die Zimmer putzen, schlafen im ersten Stock auf dem nackten Boden, vielleicht mit einer Decke als Unterlage. Auch der junge Mann von der Rezeption, der gutes Englisch spricht und mir zur Begrüßung Wassermelonen kredenzt hat, schläft hinter dem Empfangstresen auf dem nackten Boden. 

Morgen, am 17.  November, fahre ich dann ins Mekongdelta und von dort per Schiff nach Kambodscha, nach Phnom Penh. 

Mein Visum für Vietnam läuft ab und ich hoffe, dass Kambodscha ruhiger und friedlicher ist. Aber die Geschichte Kambodschas hat es auch in sich… 



Kaffee, Seide, Honeymoon

8 11 2013

Endlich wieder in bekannten Gefilden – das war mein erster Gedanke, als ich in Dalat aus dem Bus stieg. Es war grau, regnerisch, melancholische Musik wehte durch die Straßen und im Hotelzimmer stand heißes Wasser für einen Tee bereit. Und es gab warme Bettdecken!!! Dalat, in das ich vor dem drohenden Taifun geflüchtet war, liegt auf 1400 Metern Höhe. Und kaum hatte ich Pulli und Socken angezogen, ergriffen wieder nördliche Gedanken Besitz von mir. Wie ist überhaupt die Finanzlage? Wie wird es werden, wenn ich zurückkomme? Was mache ich, wenn der Taifun bis nach Dalat kommt? 

Also nichts wie in den Supermarkt ( der erste, den ich in Vietnam gesehen habe!) und Notvorräte gebunkert: Konserven, Schokolade, Fertignudeln. Doch der Taifun ließ auf sich warten. So war Zeit für Dalat, das auch die Blumenstadt Vietnams genannt wird und ich bin am See entlang in den Blumenpark geschlendert, vorbei an knallroten Weihnachtsternen, riesigen Büschen von Stechapfel. Am Ufer standen blumenbekränzte Kutschen bereit, für die zahllosen verliebten Paare, die hier die Stadt bevölkern, denn Dalat ist die Honeymoon – Stadt Vietnams. 

 Im Blumenpark von Dalat

 

Das pagodenartige Gebilde zur Rechten besteht aus Flaschen, aus Weinflaschen. Selbst Wein wird hier angebaut.

In der Umgebung gibt es rauschende Wasserfälle und  das „Valley of Love“, in dem sich zum Beispiel die Venus von Milo oder   eine Skulptur frei nach Michelangelo als Fotohintergrund anbieten. 

Wasserfall bei Dalat

 

Hier im Hochland wächst ein hervorragender Kaffee, und ich habe eine Plantage besucht. Er wird erst geerntet, wenn mindestens 80 % der  Beeren rot sind, erklärte der Guide. Der vietnamesische Kaffee ist köstlich! Er wird mit einem kleinen Metallfilter gemacht, der auf das Glas gestellt wird, der Kaffee läuft dann langsam durch. Und ist sehr stark. Ich trinke ihn am liebsten white, mit dicker, süßer Dosenmilch.

Kaffee

Auch der berühmte Wieselkaffee wird hier produziert. Die Wiesel sitzen in ihrem Käfig, futtern Kaffee, und was sie ausscheiden, wird aufgelesen, sorgfältig gewaschen (wie der Guide versicherte!) und dann getrocknet und geröstet wie jeder andere Kaffee. 

Wiesel

 

 

 

„The Pool of the weasel“, wie der Guide erklärte

Dann ging die Tour weiter zu einer Seidenmanufaktur und ich wurde mit Eiern, Raupen und Kokons des echten Seidenspinners bekannt gemacht. 

Eier, Raupen, Kokons des Seidenspinners

Die Raupe  futtert Maulbeerblätter, verpuppt sich, aber bevor sie schlüpfen kann, geht’s ab ins kochende Wasser und Ende Gelände. Dann werden die Fädchen, die der Seidenspinner in einer Drüse in seinem Mund produziert hat, gebündelt, auf eine Spule gewickelt und zu Seidenfäden verarbeitet, die man in diversen Schritten in schimmernde Stoffen verwandelt. Die Frauen zupfen aus jedem einzelnen Kokon ein hauchdünnes Fädchen, und die Kokons drehen sich dann im heißen Wasser, während sie abgewickelt werden, bis nur noch die Raupe übrig ist, die sich im Inneren befindet und in ein Häutchen gehüllt ist. Aber eigentlich ist es schon längst keine Raupe mehr, sondern ein Falter.

 

 

In der Seidenfabrik

Es hat gar nicht gut gerochen in der Seidenfabrik. Ganz im Gegenteil zu den Rosenfarmen, die noch auf dem Programm standen, denn auch Rosen werden hier gezogen, genauso wie zum Beispiel Erdbeeren, der neueste Exportschlager. Der Boden ist fruchtbar, die Sonne kräftig, und genug Regen scheint es auch zu geben.

 

Pflanzerin

Zum Schluss der Tour in die Umgebung gab es Tempel zu besichtigen. In einem war eine junge Nonne gerade damit beschäftigt, den Boden zu kehren. Buddha bekommt Opfergaben, hier waren es an die fünfzig Flaschen Wasser, die zu einer kunstvollen Pyramide gestapelt waren. In anderen Tempeln habe ich auch schon Bierdosen gesehen. Frische Früchte und Räucherstäbchen gibt es immer.

Im Ort selbst gibt es auch einiges zu sehen, zum Beispiel „Chicken Church“, wie die reizende junge Guide (gibt es eine weibliche Form von guide?) der Stadttour erklärte. Chicken Church heißt so nach dem Wetterhahn, der auf dem Kirchturm prangt. In Vietnam gibt es viele Katholiken. Auch als wir dann mit der Seilbahn fahren wollten, die aber aufgrund des Regens ausfiel, hatte sie einen passenden Kommentar parat: Cable Car dead because Rain. Und an der Station der Drahtseilbahn saßen dann auch nur Regenmäntel gehüllte Gestalten herum und warteten, vornehmlich Russen, die hier im Süden Vietnams den Großteil der Touristen ausmachen.

Nach drei Tagen hatte ich die meisten Attraktionen besichtigt, der Taifun hatte sich offenbar aufgelöst und ich besorgte mir schon mal ein Ticket für die Weiterreise, wieder an die Küste, aber weiter südlich. Dann kam der richtige Regen, und es regnete einen halben Tag lang so heftig, dass der norddeutsche November nichts dagegen ist. So habe ich meine Konserven und Nudelsuppen doch noch aufgekriegt. Aber die Fahrt zurück an die Küste hatte es in sich. Der heftige Regen hatte die Straße stellenweise aufgeweicht, Schlaglöcher gefüllt, Matsch auf den Asphalt geschwemmt. Die Strecke führt durchs Gebirge (mit atemberaubenden Ausblicken), aber das hinderte den Fahrer nicht dran, richtig auf die Tube zu drücken. Ich hab dann gebetet. Irgendwann lief ein Affe lief über die Strasse, ganz plötzlich, fernab der Zivilisation.



Die Lampions von Hoi An

4 11 2013

Fliegen ist billig in Vietnam. Und so investiere ich lieber 30 Euro in ein Flugticket, statt zwanzig Stunden im Bus zu sitzen. Früh um sieben ging es auf Cat Ba Island los, die Luft am Hafen war feucht, die vietnamesische Fahne flatterte müde im Wind. Natürlich war ich die einzige Langnase im Bus und auch auf der Fähre. Die Faulpelze liegen alle noch im Bett, dachte ich, und schätzte mich glücklich, eine so frühe Verbindung nach Hanoi gefunden zu haben. Noch dazu ein durchgehendes Ticket. Am Anleger in Haiphong hielt ich dann Ausschau nach dem Bus nach Hanoi. Ich solle mich da hinsetzen und zehn Minuten warten, dann käme der schon, wurde mir gesagt. Doch es kam kein Bus. Mit der Zeit wurde ich nervös und mir schwante, was der Reiseführer wohl mit der angeblich schlechten Verbindung gemeint hatte. Sie könne mich zum Bus fahren, das koste 50 000 dong, erklärte mir dann eine junge Frau im roten Trainingsanzug. Sprachs, drückte mir einen Helm in die Hand und warf schon mal ihr Motorrad an. Wie jetzt, wollte ich noch protestieren, ich habe doch ein durchgehendes Ticket gelöst und 50 000 dong ist viel zu viel, aber da fiel mir mein Flug ein und ich schwang mich ohne Widerworte mitsamt Rucksack auf den Sozius. Das Ticket solle ich ihr jetzt geben, befahl sie noch, sie kaufe mir dann eines für den Bus, und ab ging’s. Nach zehn Minuten kam uns ein Bus entgegen, sie machte ihm Zeichen, bremste, und ehe ich mich versah, hatte sie den Bus angehalten, dem Schaffner das Fahrgeld in die Hand gedrückt und mich mitsamt Gepäck in den Bus verfrachtet. Potztausend!

Es war ein Prachtstück von Bus, nagelneu, ausgestattet mit blauen Damastgardinen, weinroten Schonbezügen und auf dem riesengrossen Bildschirm vorn im Bus lief ein vietnamesisches Musikvideo. Beim nächsten Halt setzte sich ein aufgebretzeltes junges Mädchen neben mich. Vermutlich hatte sie die Nacht durchgemacht, denn sie nickte schon nach wenigen Minuten ein. Als der Bus scharf bremste, erwachte sie, warf mir einen fragenden Blick zu, ich lächelte zurück, ja klar, alles okay, und schon kuschelte sie sich an meine Schulter und schlief wieder ein. Wir erreichten Hanoi eine halbe Stunde früher als geplant. 

Stunden nach Einbruch der Dunkelheit, die hier schlagartig um sechs einsetzt, war ich dann in Hoi An, einem Küstenstädtchen in Zentralvietnam. Die Stadt erstrahlte im Licht von tausenden bunten Seidenlampions, vor den Restaurants, in den Bäumen, auf den Brücken, überall hingen sie. Und es war feucht und heiß. Schließlich war ich inzwischen auf dem 16. Breitengrad angekommen.

Drache an einem alten Tempel, der heute als Schule genutzt wird

Am Morgen habe ich mir dann die ganze Pracht bei Tage angesehen – und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Nicht nur, dass die Stadt eine komplett erhaltene Altstadt aus dem 17. Jahrhundert besitzt, sie quillt über vor japanischen Handelshäusern, chinesischen Tempeln und prunkvollen alten Versammlungshäusern. Wie in ganz Vietnam haben auch hier etwa tausend Jahre lang die Chinesen geherrscht und die verschiedenen Provinzen (etwa die Hainan-Chinesen) haben ihre eigenen Versammlungshäuser gebaut, dort ihren Göttern und zum Beispiel den Walen oder den Hebammen gehuldigt. Diese Prachtbauten sind dermaßen zahlreich, dass irgendwelche Läden oder Verwaltungen oder auch Schulen darin untergebracht sind.

 

 

Auf dem Markt in Hoi An

 Wenn man dort von einer Attraktion zur nächsten schlendert, hier mal einen Drachen bewundert, der Gaudi alle Ehre gemacht hätte, dort eine alte Brücke mit einem chinesischen und einem japanischen Tor (ja, die Japaner waren auch hier), über den Strassen die bunten Lampions, dazu Beschallung durch erlesene klassische Musik, fühlt man sich unweigerlich wie am Sonntagnachmittag, wenn nicht wie zu Weihnachten. Sogar französische Konditoreien gibt es. 

 

 

 Lampionwerkstatt in Hoi An

 

In Fahrradentfernung dann das südchinesische Meer. Während die Fischer in winzigen geflochtenen Booten auf den Wellen schaukeln, vergnügen junge Menschen aus aller Welt sich am weitläufigen Strand. Vietnam ist eine Partydestination geworden. Weiter im Süden sollen die Russen das Ruder in der Hand haben, hier sind viele junge Amis, Briten, Niederländer unterwegs. Bia hoi, frisches Bier vom Fass, kostet 5000 dong, das sind nicht einmal 20 Cent. Und wenn sie dann am Strand neben mir liegen, die dicken jungen Amerikanerinnen und sich die Augenbrauen zupfen wie Liz Taylor, sind sie eigentlich ganz nett.

 

 Tourist

 Fischer

45 Kilometer südwestlich von Hoi An liegt eine alte Tempelstadt namens My Son, die von den Cham errichtet wurde. Beim Ausflug dahin geriet ich an einen außerordentlich kundigen local Guide. Gleich im Bus schwor er uns ein: we are Team Tiger, don’t fortget, Team Tiger, the yellow Bus, denn es ist ein unübersichtliches Gelände mitten im Dschungel, und wir sollten bitte zusammenbleiben.

 Tempelruinen von My Son

 

Die Cham, so erklärte er uns, waren vom 4. bis zum 13. Jahrhundert in der Region ansässig, bis sie von den Viet verjagt wurden. Heute gibt es Cham nur noch in Südvietnam, sie seien dunkler und hätten krauses Haar.  Während in Hoi An den chinesischen Göttern gehuldigt wird, sind die Tempel von My Son hinduistisch. Hier wurde Shiva verehrt, der Schöpfer und Zerstörer, Mann und Frau in einer Person ist. Und hier, in My Son, hat man die männliche Seite verehrt. Und mit einem breiten Grinsen freute er sich über jeden prachtvollen Lingam und erklärte uns genau, wie bei den Festen Lingam und Yoni vereinigt wurden, wie in echt!!! 

Lingam

 

In My Son verlief die Grenze zwischen indischen und chinesischen Einflüssen. Indochina. Doch von den alten Tempeln sind nur noch Ruinen übrig. Gleich bei der Anfahrt, nachdem er Team Tiger begründet hatte, brüllte unser Guide zwei Fragen in den Bus: 1. Warum haben die Amerikaner My Son bombadiert? 2. Wer hat den Statuen die Köpfe abgeschlagen?

Nachdem wir dann alles angeschaut hatten, die Ruinen, die Lingams und Yonis, die Reste von Ganesha, Shiva und anderen indischen Gottheiten und auch die Bombenkrater und die beiden übriggebliebenen Bomben, gab er uns die Antworten: Die Amerikaner haben My Son bombadiert, weil die Vietcong auf der Flucht vor Agent Orange hierher geflüchtet waren. Die Franzosen haben den Statuen die Köpfe abgeschlagen, bevor sie sich aus Vietnam zurückzogen. Sie sind heute im Louvre zu bestaunen. 

Amerikanische Bombe

So wurde die Tempelbesichtigung zu einer Lektion in vietnamesischer Geschichte. Unter Agent Orange leidet das Land noch immer. In Hanoi habe ich eine junge Schweizerin kennengelernt, die als Freiwillige ein paar Wochen in einem Behindertenheim gearbeitet hat. Noch heute kommen missgebildete Kinder zur Welt, weil die vergiftete Erde ja nicht einfach weggeschaufelt werden kann und sich die Genschäden über Generationen auswirken. 

Zwischendurch ließ unser wunderbarer Guide noch eine Bemerkung fallen, die mich aufhorchen ließ: ein Taifun sei im Anmarsch. In Zentralvietnam ist jetzt Regenzeit und da sind Taifune, die oft mit schlimmen Überschwemmungen einhergehen, nicht selten. Auf der Rückfahrt fiel mir dann auf, dass viele Vietnamesen schon Sandsäcke auf ihre Dächer packten und ich habe zugesehen, dass ich Land gewinne. So habe ich mich dann gleich am nächsten Tag aus dem Staub gemacht und bin früher als geplant in die Berge gefahren, nach Dalat. Doch das ist eine andere Geschichte!

 

Dämmerung in den Tropen (Blick von meinem Balkon)