Angkor what?? Cambodia revisited

4 03 2014

Lavaströme ergießen sich über ein altes Gemäuer und erstarren. Ein Walfisch schlappt mit der Schwanzflosse einen Tempel um. Dinosaurier sind über den Hof gelatscht und haben mal eben den Kreuzgang des Klosters flachgelegt und Platz gemacht für allerlei tropisches Gestrüpp. Riesenkraken umschlingen mit ihren Tentakeln die Mauerreste. Bildschöne Tänzerinnen – oben ohne! – wiegen sich in den Hüften, Abendsonne fällt auf die drei Meter großen Gesichter, die über den Dschungel blicken, eine Gruppe Chinesen legt die Kameras gar nicht mehr aus der Hand und sagt unisono ooooooh und dann blickt auch noch Angelina Jolie um die Ecke.

 

 

 

 

 

 

Angkor im Zentrum von Kambodscha ist das Synonym für das größte religiöse Bauwerk der Welt, für das längste Flachrelief, das die Menschheit je geschaffen hat, für die größte Herausforderung, der sich Archäologen je stellen mussten. Vom 9. bis zum 15. Jahrhundert, über einen Zeitraum von fast 600 Jahren haben 36 Khmer-Könige hier Tempel, Klöster, eine Stadt für die Götter gebaut. Dabei wurde auch schon mal die Religion gewechselt: Was ursprünglich buddhistisch war, wurde von einem späteren Herrscher dem Hinduismus geweiht. Die Steinmetze schlugen die Buddhas aus den Reliefs und ersetzten sie durch hinduistische Gottheiten. Das Reich der Khmer erstreckte sich einst von Myanmar bis nach Vietnam, und noch heute präsentiert man am Königspalast von Phnom Penh voller Stolz die alten Karten.

 

Reliefs 

 

Nach der Blütezeit von Angkor, das über eine Million Einwohner zählte, versanken die Tempel im Dschungel und wurden zuerst 1860, dann 1992 vom Westen entdeckt. Die Einheimischen hingegen haben Angkor nie vergessen. Dort schlägt das Herz des Landes, und wer die monumentalen Gesichter vom Bayon einmal genauer betrachtet hat, der wird deren stolze Züge bei den heutige Kambodschanern wieder entdecken.

 

 

Das Areal umfasst 1000 Quadratkilometer,  und wir wollen uns die Pracht in Ruhe ansehen. So beißen wir in den sauren Apfel, legen je 60 Dollar auf den Tisch und bekommen einen 7 Tage-Pass mit digitalisiertem Foto. Doch selbst eine Woche reicht kaum aus für die wichtigsten Tempel. Am ersten Tag lassen wir uns per Tuc-Tuc zu Angkor Wat, dem Haupttempel, fahren, gehen ein paar Kilometer zu Fuß und müssen dann doch einsehen, dass die Distanzen dafür zu groß sind. Am nächsten Tag leihen wir uns Räder, sind aber am Abend so erschöpft vom Radfahren bei der tropischen Hitze, dass wir das lieber nicht wiederholen. Um auch die weiter entfernten Tempel zu sehen, schließen wir uns dann einer Tour an, bei der auch der immerhin 60 Kilometer entfernte Beng Mealea angesteuert wird. 

Eingang zu Angkor Wat, dem Hauptempel

Manche Tempel sind so weit wieder hergestellt, dass man durch die alten Gemäuer schreiten und sensationelle Reliefe und Skulpturen bewundern kann, andere hat der Dschungel fest im Griff. Riesige Würgefeigen wachsen aus den Ruinen, haben die Mauern umgeschmissen und Trümmerhaufen hinterlassen. Auch die „Entdecker“ haben ihre Spuren hinterlassen. Die Franzosen haben einige der Tempel freigelegt und die Urwaldriesen abgeholzt, was zur Folge hatte, dass das Gestein durch die extremen Witterungsverhältnisse der Tropen, durch sengende Sonne und ausdauernde Regenfälle, porös wurde. Die Inder haben späterhin mit Drahtbürsten die Flechten abgeschrubbt und die Tempel mit dem Wasser der umliegenden Bewässerungsseen gereinigt. So kamen jede Menge Bakterien, Pilze und Getier auf die aufgerauten Oberflächen und es dauerte nicht lange, bis alles schwarz war. Das ursprüngliche Weiß oder Hellbraun des Sandsteins kann man nur noch auf alten Fotografien erahnen.

Archäologen bei der Arbeit

Heute streiten die Archäologen darüber, ob man die Tempel in dem Zustand belassen soll, in dem man sie vorgefunden hat, also bewachsen, überwuchert, in einem Kampf mit der Natur, der eine ganz starke mystische Atmosphäre hervorbringt und eines der Grundmotive aller Kultur illustriert, die Auseinandersetzung zwischen der Zivilisation und der Natur. Oder soll man die Tempel selbst in den Mittelpunkt stellen, die Bäume abholzen und das kulturelle Erbe Kambodschas für die Nachwelt erhalten?

 

Skulpturen und Reliefe in der Zitadelle der Frauen, die aus rotem Sandstein erbaut wurde

 Dem Zauber von Angkor kann man sich als als Besucher kaum entziehen. Manchmal meint man, ganz allein zu sein in einem vor Jahrhunderten verlassenen Gemäuer, denkt an Buddha, Brahma, Vishnu, Shiva, sinniert über die Natur, die sich ihr Terrain zurückerobert. Betrachtet fasziniert die Wurzeln, die sich dick wie Elefantenbeine durch die Fenster schieben. Dann hört man plötzlich leise Gesänge, am Ende dunkler Gänge brennen Kerzen, werden Blumen geopfert. 

eine Nonne verkauft Räucherstäbchen 

  

Altar in den Ruinen (Foto: Leo)

 

 

 Auf der Brücke zu Ta Prohm

Vor den Tempeln lauert eine ganze Armada von Verkäufern auf die Besucher. Das Sortiment reicht von Kleidung über Bücher, Schmuck, Buddhas bis zu Souvenirs aller Art. Kinder streichen herum und betteln.  In einem abgelegenen Tempel hat sich eine Familie ein Feuerchen gemacht, um dort das Mittagessen zu grillen – Frösche. 

 

Frösche grillen im Tempel

Die Einheimischen leben in erschreckender Armut – obwohl die Touristenströme in Angkor eine Menge Geld lassen. Angkor ist d i e  kulturelle Attraktion Südostasiens und für das Jahr 2011 schätzt man die Zahl der Besucher auf ca. 3 Millionen. Doch das Geld kommt nicht bei der Bevölkerung an. Die Einkünfte aus den Ticketverkäufen gehen an einen Konzern, der einen Teil an die Regierung abführt. Hotels und Restaurant sind in den Händen auswärtiger, wenn nicht ausländischer Finanziers. Die Grundstückspreise in Siem Reap, der nächstliegenden Stadt, in der sich die Hotels und Restaurants drängen, sollen sich auf dem Niveau westlicher Großstädte bewegen. Nicht einmal das Personal der Hotels besteht aus locals, sondern wird aus den kambodschanischen Großstädten rekrutiert, aus Phnom Penh und Battambang, wo man Englisch lernen kann. 

 

Pub Street in Siem Reap (Foto: Leo)

So kommt es, dass eine Stadt mit den größten Schätzen der Menschheit stellenweise im Dreck versinkt und kaum Schulen für ihre Kinder hat. Apropos Schulen: wie in allen Bereichen der Gesellschaft ist Korruption auch hier ein Thema. Wer auf eine weiterführende Schule möchte, tut gut daran, dem Lehrer gelegentlich etwas zukommen zu lassen. Doch auch wer das macht, lebt gefährlich. Bei wichtigen Prüfungen versammeln sich Verwandte und Bekannte vor dem Schulgebäude. Sobald jemand die Prüfungsfragen herausgeschmuggelt hat, brüten alle über den Aufgaben. Die Lösungen werden auf ein Blatt Papier geschrieben, das wird um einen Stein gewickelt und durchs hoffentlich offene Fenster in die Klasse geworfen. Jedes Jahr werden etliche Schüler durch herumfliegende Steine verletzt.

 

 

P.S. bis 1970 war Kambodscha eines der reichsten Länder der Region und wurde „die Schweiz Asiens“ genannt

 



Ratanakiri

7 12 2013

Ratanakiri ist eine Provinz im Nordosten von Kambodscha. Der Name der Hauptstadt bedeutet „rote Erde“ und schon nach wenigen Stunden in Banlung war auch ich überzogen von roten Staub. 

 

 

Straße in Banlung

 

In Ratanakiri wird Kautschuk gewonnen, man baut Cashewnüsse und Maniok an, doch Fremde verirren sich nur hierher, um zu einer Treckingtour im nahen Virachey Nationalpark aufzubrechen.

Mir war nicht so nach Dschungel, zumal alle Zurückkehrenden von Moskitos, Blutegeln und schrecklichen Strapazen berichteten. Aber wo es Dschungel gibt, müssen bisweilen auch große Bäume weggeschleppt werden, und das können eigentlich nur Elefanten. Die seltene Gelegenheit habe ich genutzt. Natürlich kann man auch in Hamburg Lokstedt auf einem Elefanten reiten, aber eben nicht durch den Dschungel!

Mutter und Tochter Elefant gehen immer zusammen, und da ich die einzige Touristin war, setzten sie ihre vielen Tonnen nur für mich in Bewegung und schaukelten mich eine Stunde lang durch die Gegend. Zuerst ging es die rote Piste entlang. Die Mutter ging voraus, die Tochter hinterher. Mein Mahout war ein kaum zwölf Jahre älter Bengel, er saß auf dem Kopf des Elefanten und lenkte nur mit den Füßen. 

Als wir von der Schotterpiste abbogen und in den Wald kamen, fühlte ich mich wie die Königin des Dschungels. Sonst muss man in diesen Breiten ja darauf achten, wohin man tritt, um nicht versehentlich eine Baumwurzel, ein dorniges Gestrüpp oder gar eine Schlange zu übersehen, aber jetzt konnte ich in aller Ruhe und aus einiger Höhe die riesigen Bäume, die seltsamen Schlingpflanzen und die spatzengroßen Schmetterlinge betrachten. Mitten im Wald machte der Mahout des Muttertiers es sich dann bequem, streckte sich auf dem Sattel aus, zog sein Handy aus der Tasche, stellte Musik an, setzte die Ohrhörer ein und chillte eine Runde. 

 

 

Der Wunsch nach etwas Entspannung zwischendurch muss auch die junge Fleischereifachverkäuferin angetrieben haben, die ich auf dem Markt in Banlung sah. Sie saß nicht hinter ihrem Ladentisch und hockte auch nicht mitten in der Ware, sondern schaukelte gemütlich über den Fleischbrocken – in einer Hängematte.

Metzgerei mit Hängematte

 Jeder größere Ort hat eine Markthalle, so auch in Banlung. Doch hier werden nicht etwa Lebensmittel verkauft, sondern Schmuck. In Ratanakiri gibt es viele Edelsteinminen, und die wertvollen Stücke werden in der Markthalle von zahllosen Goldschmieden zu prächtigen Geschmeiden verarbeitet.

 

Goldschmiede in Banlung

In Kratie habe ich einen Blick in verschiedene Tageskliniken geworfen und mir mit Schrecken ausgemalt, was mir bevorstünde, wenn ich hier mit Denguefieber oder Malaria darniederliegen würde. Diese Ambulanzen sind in Ladengeschäften untergebracht und liegen dann zum Beispiel zwischen Busstation und Lebensmittelladen. Der Raum ist zur Straße offen, ein Bett steht neben dem anderen, manche Patienten liegen auch in Hängematten und siechen vor sich hin. Die meisten haben Infusionen am Arm, die aber auch ambulant verabreicht werden, und so sieht man Menschen mit einem Bambusstab mit Infusionsflasche auf ein Motorrad steigen. 

 

In Bandung ragte sogar mal eine Infusion aus einem minivan.

 Krankentransport in Kambodscha

 In Ratanakiri leben viele „minorities“, die mit Körben auf dem Rücken in die Stadt laufen, auf dem Markt einkaufen oder ihre Produkte feilbieten. 

In den traditionellen Häusern leben alle unter einem Dach. Wenn die Kinder erwachsen sind, ziehen sie in ein eigenes kleines Haus, gleich nebenan. Dort bleiben sie, bis sie selbst eine Familie gründen.

Links das Familienhaus, daneben die Häuser für die Teenager. In der Mitte das für den jungen Mann, rechts das für die junge Frau

 

 

 



Balkon am Mekong

2 12 2013

„You want to try? You can try! It’s good!“ Die Frau zeigt auf einen Berg knuspriger, fein gewürzter Taranteln. „Or this one? Very Good!“ Sie nimmt eine knackige Heuschrecke, die angeblich gar nicht übel schmecken, und schiebt sie in den Mund.

 

Links die Heuschrecken, rechts die Spinnen, oben Pomelos

Ich halte mich lieber an eine andere lokale Spezialität: Cashewnüsse. Ich bin unterwegs nach Kratie, einem Städtchen auf halbem Weg zwischen Phnom Penh und Laos, und der Bus hat einen Zwischenstop in Skuon (auch spiderville genannt) eingelegt. Die Fahrt ist anstrengend, in jedem Dorf werden weitere Passagiere, Taschen und Reissäcke in den Bus gestopft und so sacken wir immer tiefer in die zahllosen Schlaglöcher. Dann sind wir endlich am Ziel, und als ich meinen Rucksack zum Guesthouse schleppe, habe ich kaum Augen für die Strasse oder die Stadt, denn zu meiner Linken breitet sich eine riesige Wasserfläche aus, das große Wasser, der Mekong. Er ist auch hier mindestens einen Kilometer breit, lässt jetzt zu Beginn der Trockenzeit ein paar Sandbänke sehen und das Wasser fließt gemächlich gen Süden. Was für ein riesiger, friedvoller Strom! Die Promenade, das Hafenbüro, die Fischerboote und vor allem das Licht – man fühlt sich wie am Meer.

 

Hafenbüro und Schiffsanleger in Kratie

Im guesthouse balcony wird meine Begeisterung für diesen Fluss noch weiter angefacht, denn der riesige Balkon geht direkt auf den Mekong und so kann ich zu jeder Tageszeit die Farben des Wassers betrachten, das leichte Kräuseln der Oberfläche und den wenigen Schiffen zuschauen. In Vietnam war der Mekong eindeutig Braun, hier ist er mal silbern oder grau oder beige, manchmal rötlich oder grünlich. Eigentlich hat er eher die Farbe der Erde als des Wassers und vielleicht macht genau dieses Zwitterdasein zwischen Wasser und Erde, die ja sonst nicht fließen kann, seinen Reiz aus.

 

 

Fischer am Mekong 

Tags drauf fahre ich mit dem Rad in Richtung Norden, passiere kleine Dörfer, und oft rufen Kinder hello! und winken. Doch auch die Erwachsenen, die entlang der Strasse kleine Geschäfte betreiben oder selbst mit Rad oder Roller unterwegs sind, lächeln mir zu. Die Häuser stehen auf Stelzen, darunter wird der Roller geparkt, der Reis gelagert oder das Vieh gefüttert. Und wenn es zu heiß ist, schaukelt man dort in der Hängematte.

 

 

Dorfstraße bei Krati

 

 

Ich komme an einem Tempel vorbei, mache Halt und staune über die farbenfrohen Skulpturen und über die Mönche. Manche von ihnen sind kaum zehn Jahre alt.

 

 

 

Ein weiterer Tempel liegt auf einem Hügel, und auch hier komme ich aus dem Staunen nicht heraus. Am Eingang sind zwei junge Männer damit beschäftigt, neue Elefanten für das Portal zu bauen, anscheinend haben sie Spass an der Arbeit, sie lachen, machen Faxen und winken mir zu.

 

Mehrere lange Treppen führen auf den Hügel hinauf. Sie sind gesäumt von lebensgroßen, orangefarben gekleideten Mönchen mit Bettelschale. Auf kleinen Tafeln zu ihren Füssen stehen jeweils Name und Herkunft des edlen Spenders; viele kommen aus Australien. Dieses Kloster ist auch offen für Gäste aus aller Welt, die hier meditieren wollen.

 

Auf dem Weg blitzte er immer wieder zwischen den Häusern und Palmen durch, oben vom Hügel blickt man auf ihn hinab und endlich bin ich dann wieder an seinen Ufern, am Mekong. Ich lasse mich mit einem Boot mitten auf den Fluss fahren, in dem hier kleine Pflanzeninseln schwimmen und da und dort Sandbänke durchs Wasser schimmern. Wir fahren ein Stück, dann hält der Schiffer an, macht den Motor aus und guckt aufs Wasser. Da! Bedeutet er mir dann und ich folge seinem Fingerzeig und sehe eine schwarze Flosse. Dann einen buckeligen Rücken, einen Kopf, zwei Flossen. Delphine. Im Mekong leben Süsswasserdelphine. Die sind sehr selten und man darf sich nur mit ortskundigen Führern zum Dolphin-watching in ihre Nähe begeben. 

dolphin-watching 

 

Am nächsten Tag setze ich mit der Fähre zu der Insel über, die gegenüber von Kratie im Mekong liegt. Es ist eine lustige Truppe versammelt: ein paar Schulkinder in ihren Uniformen (weiße Bluse bzw. weißes Hemd und dunkelblaue Hose bzw. Rock), Frauen in Pyjamas (hier eine beliebte Damenoberbekleidung, bei der Hitze kein Wunder, dabei sehr kleidsam!), die meisten mit Hut und viele auch noch mit Gesichtsschutz, den sie wie eine Atemmaske tragen. Um nicht Braun zu werden. Ein älteres Ehepaar zieht Bänder in den neuen Bootsvorhang, die Frau, die später das Fahrgeld eintreiben wird, schaukelt gemütlich in einer Hängematte direkt hinter dem Bootsführer, zwei Mönche in Orange sitzen freundlich lächelnd in der schwatzenden, lachenden Gesellschaft. Eine junge Neuseeländerin und ich sind die einzigen Fremden.

Wir tun uns zusammen und radeln gemeinsam um die Insel. Von hier aus gesehen ist der Mekong manchmal sogar blau, doch viel beeindruckender sind die großen Sandbänke. In der Regenzeit werden sie überschwemmt sein, doch jetzt liegen sie vor der Insel wie eine Dünenlandschaft. 

 

 

 

Wir schauen uns auch die schwimmenden Dörfer auf der anderen Seite der Insel an. Die andere Attraktion bekommen wir nicht zu Gesicht: die Schlammschildkröten, die angeblich bis zu einem Meter groß werden.

Nach ein paar Tagen stelle ich erstaunt fest, dass Kratie auch eine Markthalle, Restaurants und eine Einkaufsstraße hat; bis dahin hatte ich nur Augen für den Mekong. Und dessen Reize kann keine noch so hübsche Stadt übertrumpfen. 

 

 

 

Blick vom Balkon am Mekong

 



Amok in Phnom Penh

26 11 2013

Nach 24 Stunden in Phnom Penh habe ich die Nase gestrichen voll. Schon die Anreise ist kein Vergnügen. Statt gemütlich den Mekong heraufzuschippern, finde ich mich in einem Schnellboot wieder, das durch geöffnete Vorder- und Hinterluke seinen Luftwiderstand herabsetzen will, um noch schneller zu sein, was dazu führt, dass die armen Passagiere sich hinter hochgehaltenen Schwimmwesten verschanzen, um nicht klatschnass zu werden und mit einer Mittelohrentzündung zu enden.

Dann das Gerangel der Tuc-Tuc-Fahrer. Kaum hat man wieder festen Boden unter den Füssen, stürzen sie sich wie die Geier auf die frisch angekommenen Touris. Mein Hotel sei aber sehr weit entfernt, mindestens 7 Kilometer und das koste 7 Dollar, erklärte mir ein junger Mann. Als ich dann lieber auf seine Dienste verzichten will, wird er laut und beschimpft mich.

Am späten Nachmittag mache ich mit einer Holländerin, die ich im Mekongdelta kennengelernt habe, einen ersten Gang in die Stadt. Auf dem Rückweg reißt ihr ein Motorradfahrer den Brustbeutel mit Geld vom Hals. 

Vor Schreck packe ich im Hostel alles von Wert aus der Tasche, verstaue es an einem sicheren Ort und gehe nur mit Geldgurt zum Barbecue auf der Dachterrasse. In der Nacht tue ich kein Auge zu. Schlafsäle mit partyhungrigen jungen Menschen sind wohl doch nichts für mich. Am nächsten Tag ist meine Kamera verschwunden. Futsch. Verlegt, verloren, geklaut – keine Ahnung. Jedenfalls weg. (Und dann versuch mal, in Phnom Penh eine Kamera aufzutreiben.)

Trotz dieses gruseligen Einstiegs bleibe ich. Irgendetwas hält mich hier, ich weiß noch nicht, was.

Als Sehenswürdigkeiten preist der Reiseführer die „killing Fields“ und das Foltermuseum an. Vielen Dank, nichts für mich. Beides geht auf Pol Pot zurück, der das Land in den Siebziger Jahren dermaßen drangsaliert hat, dass es sich bis heute nicht davon erholt hat. Zudem wurde es von den Amis gebombt und später mit Embargo belegt. Jetzt tummeln sich hier NGOs und ältere Herren mit jungen Dingern am Arm. An der deutschen Botschaft lese ich einen Aushang, dass Männer über fünfzig jetzt keine Kambodschanerin mehr heiraten können und dass in manchen Fällen eine Einverständniserklärung der Eltern verlangt wird.

Statt der bluttriefenden Zeugen der Vergangenheit schaue ich mir lieber den Königspalast an. Was für ein Märchenschloss!

 

In eigens zu diesem Zweck errichteten Elefantenhalle hat der König die Elefanten bestiegen, auf denen er dann durch die Stadt geritten ist.

In der benachbarten Silberpagode besteht der Boden aus reinem Silber. Und das stammt aus den Münzen, die nach dem Ende der Kolonialzeit eingeschmolzen wurden. 

Ökonomische Erwägungen mögen Pate gestanden haben, als das Standdenkmal Napoleons recycelt wurde. Der Kopf wurde abgeschlagen und durch den Kopf des Königs von Kambodscha ersetzt. Praktischerweise waren sie von ähnlicher Statur.

Die Khmer haben eine ganz eigene, elegante Ästhetik.

 

 

 

Tor des Königspalastes

Viel Gold, alles fein ziseliert, voller Anmut und Grazie, aber dabei zurückhaltend, auch in den Tänzen. Am Abend sehe ich mir eine Aufführung einer Tanzschule an, in der benachteiligte junge Menschen, von denen es hier eine Menge gibt, eine künstlerische Ausbildung bekommen – und bin begeistert. Da tanzt eine staksige Achtzehnjährige mit Segelohren neben einem grossen Talent, einer Frau mit enormer Bühnenpräsenz und feinen, präzisen Bewegungen. Allen gemeinsam ist eine riesige Spielfreude, die sich in einer farbenprächtigen Choreographie wunderbar entfalten kann. Pol Pot hatte es insbesondere auf nutzloses Gesindel abgesehen wie Künstler, Ärzte, Lehrer, Intellektuelle. Schon das Tragen einer Brille war verdächtig. Und so hat die Gesellschaft noch immer in vielen Bereichen enormen Nachholbedarf. 

Im Nationalmuseum bestaune ich alten Skulpturen der Khmer mit ihren ebenmäßigen, geheimnisvollen Gesichtern. Vor vielen der Buddhas werden Räucherstäbchen abgebrannt, und meist sitzt daneben jemand, der duftende weiße Blüten auf Spießchen fädelt, die gegen ein Entgelt geopfert werden können.

Die Religion spielt eine große Rolle, genauer gesagt der Buddhismus, der aber zwanglos um die Mythen und Götter des Hinduismus ergänzt wird. 

Manche Strassen wirken – von den vielen blühenden Gestrüppen und Palmen einmal abgesehen – fast französisch. Hohe, koloniale Bauten mit schmiedeeisernen Gittern und Erkern, Anklänge an Jugendstil und Art  deco. Die Menschen sind freundlich, haben ein herzliches, zurückhaltendes Lächeln, ganz anders als die Vietnamesen, die einen ja auch gerne mal anfassen. 

Und dann AMOK, eine Köstlichkeit der Khmer-Küche. Fleisch oder Fisch werden in Kokosmilch geschmurgelt, mit diversen Zutaten wie lemongras, Ingwer, basilikum versetzt. Dazu Reis. Im Original wird alles in ein Bananenblatt gewickelt und ab in den Ofen… Hhhmmmmm!!!

Eines Morgens steht ein orange gekleideter Mönch vor dem hostel, safranfarbener Schirm in der einen, Bettelschale in der anderen Hand. Man gibt ihm Geld. Am Nachmittag kommt dann in der Stadt ein Mönch auf mich zu. Er lächelt milde, segnet mich, streift mir ein Armband aus Holzperlen übers Handgelenk. Sein warmer Blick tut so gut! Dann hält er mir die Schale hin und ich lege einen Dollar hinein. Da lächelt er wieder mild und sagt: two Dollar.

Kambodscha ist eines der ärmsten Länder der Welt. An der prächtigen Promenade werden keine Hühnchenspiesse oder andere leckere snacks verkauft wie in Vietnam, sondern Schnecken, die man am Mekong sammeln kann. Und dort stehen Vogelverkäufer mit Käfigen voller Vögel. Ob die auch zum Verzehr bestimmt sind? Oder halten die Leute sich gerne Vögel? 

Weder das eine, noch das andere, finde ich heraus. Am Ufer gibt es kleine buddhistische Tempel, in denen das  Volk opfert und betet. Man kauft Räucherstäbchen, Lotosblumen oder ein paar dieser Vögel, die dann am Ufer des Mekong wieder in die Freiheit entlassen werden. 

 

Lotusblumenstand am Mekong

Hier beobachte ich auch Kinder beim Baden oder Drachen steigen lassen. 

Später treffe ich ein paar von ihnen in einer Nebenstraße wieder, sie ziehen johlend durch die Gassen, fast nackt, Strassenkinder, und unwillkürlich halte ich meine Tasche fest. 

 

Strassenkinder in Phnom Penh

Es dauert nicht lange, da sehe ich sie ein drittes Mal. Ein kleiner Junge flitzt im Affenzahn die Strasse runter, in der Hand eine nagelneue Trainingsjacke a la Adidas. Ein Mann verfolgt ihn, vermutlich der Inhaber des Klamottenstandes. Der Kleine rennt so schnell er kann, seine Hose rutscht ihm runter, aber er hat für solche Details keine Zeit. Schliesslich holt der Große ihn doch ein, schnappt seine Jacke und gibt der Gang ein paar hinter die Löffel. 

Nach ein paar Tagen komme ich auch in die abgelegeneren Gegenden der Stadt und nehme wahr, was man auf den ersten Blick übersieht. Die Märkte der Einheimischen, in denen die Metzgerinnen mitten zwischen Fleisch und Knochen auf dem Tisch sitzen.

 

Oder das Sarggeschäft zwischen Bar und Massagesalon. Blumen verzierte Holzsärge werden angeboten, und ein paar Häuser weiter kann ich zuschauen, wie sie gemacht werden. Vor der Werkstatt parken ca. 10 Meter lange, offene Wagen, zum Teil schlicht, zum Teil über und über verkleidet mit Holzschnitzereien von Drachen. So einen Wagen habe ich schon mal voller Menschen durch die Stadt fahren sehen und erst jetzt verstehe ich, was es ist.   

Viele leben auf der Strasse. Schlafen in Hängematten oder am Straßenrand, gehüllt in ein paar Lappen, mit ihren Kindern. Immer wieder sehe ich Lastwagen voller Menschen oder ganze Heufuder durch die Stadt tuckern, die eigentlich eine moderne Metropole sein will.

Und es ist heiß, drückend heiß. Gegen Mittag machen viele ein Nickerchen, ganz gleich, wo sie gerade sind. Manche legen einfach den Kopf auf den Tisch, andere strecken sich auf ihrem Roller aus.

Mittagsschläfchen in Phnom Penh

Ich bleibe fast eine Woche und habe Phnom Penh am Ende richtig ins Herz geschlossen. Gegenüber dem Hotel, in das ich umgezogen bin, liegt eine Maternity Klinik. Hier kommen Babies zur Welt und mir gefällt der Gedanke, dass diese Babies eine bessere Zukunft haben werden.