Amok in Phnom Penh
26 11 2013Nach 24 Stunden in Phnom Penh habe ich die Nase gestrichen voll. Schon die Anreise ist kein Vergnügen. Statt gemütlich den Mekong heraufzuschippern, finde ich mich in einem Schnellboot wieder, das durch geöffnete Vorder- und Hinterluke seinen Luftwiderstand herabsetzen will, um noch schneller zu sein, was dazu führt, dass die armen Passagiere sich hinter hochgehaltenen Schwimmwesten verschanzen, um nicht klatschnass zu werden und mit einer Mittelohrentzündung zu enden.
Dann das Gerangel der Tuc-Tuc-Fahrer. Kaum hat man wieder festen Boden unter den Füssen, stürzen sie sich wie die Geier auf die frisch angekommenen Touris. Mein Hotel sei aber sehr weit entfernt, mindestens 7 Kilometer und das koste 7 Dollar, erklärte mir ein junger Mann. Als ich dann lieber auf seine Dienste verzichten will, wird er laut und beschimpft mich.
Am späten Nachmittag mache ich mit einer Holländerin, die ich im Mekongdelta kennengelernt habe, einen ersten Gang in die Stadt. Auf dem Rückweg reißt ihr ein Motorradfahrer den Brustbeutel mit Geld vom Hals.
Vor Schreck packe ich im Hostel alles von Wert aus der Tasche, verstaue es an einem sicheren Ort und gehe nur mit Geldgurt zum Barbecue auf der Dachterrasse. In der Nacht tue ich kein Auge zu. Schlafsäle mit partyhungrigen jungen Menschen sind wohl doch nichts für mich. Am nächsten Tag ist meine Kamera verschwunden. Futsch. Verlegt, verloren, geklaut – keine Ahnung. Jedenfalls weg. (Und dann versuch mal, in Phnom Penh eine Kamera aufzutreiben.)
Trotz dieses gruseligen Einstiegs bleibe ich. Irgendetwas hält mich hier, ich weiß noch nicht, was.
Als Sehenswürdigkeiten preist der Reiseführer die „killing Fields“ und das Foltermuseum an. Vielen Dank, nichts für mich. Beides geht auf Pol Pot zurück, der das Land in den Siebziger Jahren dermaßen drangsaliert hat, dass es sich bis heute nicht davon erholt hat. Zudem wurde es von den Amis gebombt und später mit Embargo belegt. Jetzt tummeln sich hier NGOs und ältere Herren mit jungen Dingern am Arm. An der deutschen Botschaft lese ich einen Aushang, dass Männer über fünfzig jetzt keine Kambodschanerin mehr heiraten können und dass in manchen Fällen eine Einverständniserklärung der Eltern verlangt wird.
Statt der bluttriefenden Zeugen der Vergangenheit schaue ich mir lieber den Königspalast an. Was für ein Märchenschloss!
In eigens zu diesem Zweck errichteten Elefantenhalle hat der König die Elefanten bestiegen, auf denen er dann durch die Stadt geritten ist.
In der benachbarten Silberpagode besteht der Boden aus reinem Silber. Und das stammt aus den Münzen, die nach dem Ende der Kolonialzeit eingeschmolzen wurden.
Ökonomische Erwägungen mögen Pate gestanden haben, als das Standdenkmal Napoleons recycelt wurde. Der Kopf wurde abgeschlagen und durch den Kopf des Königs von Kambodscha ersetzt. Praktischerweise waren sie von ähnlicher Statur.
Die Khmer haben eine ganz eigene, elegante Ästhetik.
Tor des Königspalastes
Viel Gold, alles fein ziseliert, voller Anmut und Grazie, aber dabei zurückhaltend, auch in den Tänzen. Am Abend sehe ich mir eine Aufführung einer Tanzschule an, in der benachteiligte junge Menschen, von denen es hier eine Menge gibt, eine künstlerische Ausbildung bekommen – und bin begeistert. Da tanzt eine staksige Achtzehnjährige mit Segelohren neben einem grossen Talent, einer Frau mit enormer Bühnenpräsenz und feinen, präzisen Bewegungen. Allen gemeinsam ist eine riesige Spielfreude, die sich in einer farbenprächtigen Choreographie wunderbar entfalten kann. Pol Pot hatte es insbesondere auf nutzloses Gesindel abgesehen wie Künstler, Ärzte, Lehrer, Intellektuelle. Schon das Tragen einer Brille war verdächtig. Und so hat die Gesellschaft noch immer in vielen Bereichen enormen Nachholbedarf.
Im Nationalmuseum bestaune ich alten Skulpturen der Khmer mit ihren ebenmäßigen, geheimnisvollen Gesichtern. Vor vielen der Buddhas werden Räucherstäbchen abgebrannt, und meist sitzt daneben jemand, der duftende weiße Blüten auf Spießchen fädelt, die gegen ein Entgelt geopfert werden können.
Die Religion spielt eine große Rolle, genauer gesagt der Buddhismus, der aber zwanglos um die Mythen und Götter des Hinduismus ergänzt wird.
Manche Strassen wirken – von den vielen blühenden Gestrüppen und Palmen einmal abgesehen – fast französisch. Hohe, koloniale Bauten mit schmiedeeisernen Gittern und Erkern, Anklänge an Jugendstil und Art deco. Die Menschen sind freundlich, haben ein herzliches, zurückhaltendes Lächeln, ganz anders als die Vietnamesen, die einen ja auch gerne mal anfassen.
Und dann AMOK, eine Köstlichkeit der Khmer-Küche. Fleisch oder Fisch werden in Kokosmilch geschmurgelt, mit diversen Zutaten wie lemongras, Ingwer, basilikum versetzt. Dazu Reis. Im Original wird alles in ein Bananenblatt gewickelt und ab in den Ofen… Hhhmmmmm!!!
Eines Morgens steht ein orange gekleideter Mönch vor dem hostel, safranfarbener Schirm in der einen, Bettelschale in der anderen Hand. Man gibt ihm Geld. Am Nachmittag kommt dann in der Stadt ein Mönch auf mich zu. Er lächelt milde, segnet mich, streift mir ein Armband aus Holzperlen übers Handgelenk. Sein warmer Blick tut so gut! Dann hält er mir die Schale hin und ich lege einen Dollar hinein. Da lächelt er wieder mild und sagt: two Dollar.
Kambodscha ist eines der ärmsten Länder der Welt. An der prächtigen Promenade werden keine Hühnchenspiesse oder andere leckere snacks verkauft wie in Vietnam, sondern Schnecken, die man am Mekong sammeln kann. Und dort stehen Vogelverkäufer mit Käfigen voller Vögel. Ob die auch zum Verzehr bestimmt sind? Oder halten die Leute sich gerne Vögel?
Weder das eine, noch das andere, finde ich heraus. Am Ufer gibt es kleine buddhistische Tempel, in denen das Volk opfert und betet. Man kauft Räucherstäbchen, Lotosblumen oder ein paar dieser Vögel, die dann am Ufer des Mekong wieder in die Freiheit entlassen werden.
Lotusblumenstand am Mekong
Hier beobachte ich auch Kinder beim Baden oder Drachen steigen lassen.
Später treffe ich ein paar von ihnen in einer Nebenstraße wieder, sie ziehen johlend durch die Gassen, fast nackt, Strassenkinder, und unwillkürlich halte ich meine Tasche fest.
Strassenkinder in Phnom Penh
Es dauert nicht lange, da sehe ich sie ein drittes Mal. Ein kleiner Junge flitzt im Affenzahn die Strasse runter, in der Hand eine nagelneue Trainingsjacke a la Adidas. Ein Mann verfolgt ihn, vermutlich der Inhaber des Klamottenstandes. Der Kleine rennt so schnell er kann, seine Hose rutscht ihm runter, aber er hat für solche Details keine Zeit. Schliesslich holt der Große ihn doch ein, schnappt seine Jacke und gibt der Gang ein paar hinter die Löffel.
Nach ein paar Tagen komme ich auch in die abgelegeneren Gegenden der Stadt und nehme wahr, was man auf den ersten Blick übersieht. Die Märkte der Einheimischen, in denen die Metzgerinnen mitten zwischen Fleisch und Knochen auf dem Tisch sitzen.
Oder das Sarggeschäft zwischen Bar und Massagesalon. Blumen verzierte Holzsärge werden angeboten, und ein paar Häuser weiter kann ich zuschauen, wie sie gemacht werden. Vor der Werkstatt parken ca. 10 Meter lange, offene Wagen, zum Teil schlicht, zum Teil über und über verkleidet mit Holzschnitzereien von Drachen. So einen Wagen habe ich schon mal voller Menschen durch die Stadt fahren sehen und erst jetzt verstehe ich, was es ist.
Viele leben auf der Strasse. Schlafen in Hängematten oder am Straßenrand, gehüllt in ein paar Lappen, mit ihren Kindern. Immer wieder sehe ich Lastwagen voller Menschen oder ganze Heufuder durch die Stadt tuckern, die eigentlich eine moderne Metropole sein will.
Und es ist heiß, drückend heiß. Gegen Mittag machen viele ein Nickerchen, ganz gleich, wo sie gerade sind. Manche legen einfach den Kopf auf den Tisch, andere strecken sich auf ihrem Roller aus.
Mittagsschläfchen in Phnom Penh
Ich bleibe fast eine Woche und habe Phnom Penh am Ende richtig ins Herz geschlossen. Gegenüber dem Hotel, in das ich umgezogen bin, liegt eine Maternity Klinik. Hier kommen Babies zur Welt und mir gefällt der Gedanke, dass diese Babies eine bessere Zukunft haben werden.
Moin, moin Bettina,
erst wollte ich mir Deinen neuen Bericht für mehrere Tage aufheben. Hab ich aber nicht geschafft, sondern doch gleich alles in einem Rutsch gelesen. Tja, dafür lese ich ihn dann eben mehrmals.
Wie machst Du das eigentlich? Erwirbst Du manchmal auch ein paar Reisemitbringsel? Erinnerungen? Selbst eine wachsende Anzahl an winzigen Dingen, wie Figuren, Postkarten etc. werden im Laufe von Monaten irgendwann mal mehr.
Schickst Du die vielen Pakete zwischendurch nach Hause?
Gerade die Beschreibungen der leckeren Speisen, einmal abgesehen von der Auslage des Fleischerladens, könnte ich mich bei Gewürzen und dem angebotenen Drumherum totkaufen. Lecker!
Ich wünsche Dir wieder ein paar tolle Tage bis zum nächsten Bericht und bleib gesund!
Viele Grüße Mathias
Hallo Bettina,
mir geht es wie meinem Vorschreiber, deine Reisebeschreibung zu lesen, ist ein echtes Vergnügen! Danke, dass du das mit uns teilst!
Liebe Grüße Marita