Die Lampions von Hoi An
4 11 2013Fliegen ist billig in Vietnam. Und so investiere ich lieber 30 Euro in ein Flugticket, statt zwanzig Stunden im Bus zu sitzen. Früh um sieben ging es auf Cat Ba Island los, die Luft am Hafen war feucht, die vietnamesische Fahne flatterte müde im Wind. Natürlich war ich die einzige Langnase im Bus und auch auf der Fähre. Die Faulpelze liegen alle noch im Bett, dachte ich, und schätzte mich glücklich, eine so frühe Verbindung nach Hanoi gefunden zu haben. Noch dazu ein durchgehendes Ticket. Am Anleger in Haiphong hielt ich dann Ausschau nach dem Bus nach Hanoi. Ich solle mich da hinsetzen und zehn Minuten warten, dann käme der schon, wurde mir gesagt. Doch es kam kein Bus. Mit der Zeit wurde ich nervös und mir schwante, was der Reiseführer wohl mit der angeblich schlechten Verbindung gemeint hatte. Sie könne mich zum Bus fahren, das koste 50 000 dong, erklärte mir dann eine junge Frau im roten Trainingsanzug. Sprachs, drückte mir einen Helm in die Hand und warf schon mal ihr Motorrad an. Wie jetzt, wollte ich noch protestieren, ich habe doch ein durchgehendes Ticket gelöst und 50 000 dong ist viel zu viel, aber da fiel mir mein Flug ein und ich schwang mich ohne Widerworte mitsamt Rucksack auf den Sozius. Das Ticket solle ich ihr jetzt geben, befahl sie noch, sie kaufe mir dann eines für den Bus, und ab ging’s. Nach zehn Minuten kam uns ein Bus entgegen, sie machte ihm Zeichen, bremste, und ehe ich mich versah, hatte sie den Bus angehalten, dem Schaffner das Fahrgeld in die Hand gedrückt und mich mitsamt Gepäck in den Bus verfrachtet. Potztausend!
Es war ein Prachtstück von Bus, nagelneu, ausgestattet mit blauen Damastgardinen, weinroten Schonbezügen und auf dem riesengrossen Bildschirm vorn im Bus lief ein vietnamesisches Musikvideo. Beim nächsten Halt setzte sich ein aufgebretzeltes junges Mädchen neben mich. Vermutlich hatte sie die Nacht durchgemacht, denn sie nickte schon nach wenigen Minuten ein. Als der Bus scharf bremste, erwachte sie, warf mir einen fragenden Blick zu, ich lächelte zurück, ja klar, alles okay, und schon kuschelte sie sich an meine Schulter und schlief wieder ein. Wir erreichten Hanoi eine halbe Stunde früher als geplant.
Stunden nach Einbruch der Dunkelheit, die hier schlagartig um sechs einsetzt, war ich dann in Hoi An, einem Küstenstädtchen in Zentralvietnam. Die Stadt erstrahlte im Licht von tausenden bunten Seidenlampions, vor den Restaurants, in den Bäumen, auf den Brücken, überall hingen sie. Und es war feucht und heiß. Schließlich war ich inzwischen auf dem 16. Breitengrad angekommen.
Drache an einem alten Tempel, der heute als Schule genutzt wird
Am Morgen habe ich mir dann die ganze Pracht bei Tage angesehen – und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Nicht nur, dass die Stadt eine komplett erhaltene Altstadt aus dem 17. Jahrhundert besitzt, sie quillt über vor japanischen Handelshäusern, chinesischen Tempeln und prunkvollen alten Versammlungshäusern. Wie in ganz Vietnam haben auch hier etwa tausend Jahre lang die Chinesen geherrscht und die verschiedenen Provinzen (etwa die Hainan-Chinesen) haben ihre eigenen Versammlungshäuser gebaut, dort ihren Göttern und zum Beispiel den Walen oder den Hebammen gehuldigt. Diese Prachtbauten sind dermaßen zahlreich, dass irgendwelche Läden oder Verwaltungen oder auch Schulen darin untergebracht sind.
Auf dem Markt in Hoi An
Wenn man dort von einer Attraktion zur nächsten schlendert, hier mal einen Drachen bewundert, der Gaudi alle Ehre gemacht hätte, dort eine alte Brücke mit einem chinesischen und einem japanischen Tor (ja, die Japaner waren auch hier), über den Strassen die bunten Lampions, dazu Beschallung durch erlesene klassische Musik, fühlt man sich unweigerlich wie am Sonntagnachmittag, wenn nicht wie zu Weihnachten. Sogar französische Konditoreien gibt es.
Lampionwerkstatt in Hoi An
In Fahrradentfernung dann das südchinesische Meer. Während die Fischer in winzigen geflochtenen Booten auf den Wellen schaukeln, vergnügen junge Menschen aus aller Welt sich am weitläufigen Strand. Vietnam ist eine Partydestination geworden. Weiter im Süden sollen die Russen das Ruder in der Hand haben, hier sind viele junge Amis, Briten, Niederländer unterwegs. Bia hoi, frisches Bier vom Fass, kostet 5000 dong, das sind nicht einmal 20 Cent. Und wenn sie dann am Strand neben mir liegen, die dicken jungen Amerikanerinnen und sich die Augenbrauen zupfen wie Liz Taylor, sind sie eigentlich ganz nett.
Tourist
Fischer
45 Kilometer südwestlich von Hoi An liegt eine alte Tempelstadt namens My Son, die von den Cham errichtet wurde. Beim Ausflug dahin geriet ich an einen außerordentlich kundigen local Guide. Gleich im Bus schwor er uns ein: we are Team Tiger, don’t fortget, Team Tiger, the yellow Bus, denn es ist ein unübersichtliches Gelände mitten im Dschungel, und wir sollten bitte zusammenbleiben.
Tempelruinen von My Son
Die Cham, so erklärte er uns, waren vom 4. bis zum 13. Jahrhundert in der Region ansässig, bis sie von den Viet verjagt wurden. Heute gibt es Cham nur noch in Südvietnam, sie seien dunkler und hätten krauses Haar. Während in Hoi An den chinesischen Göttern gehuldigt wird, sind die Tempel von My Son hinduistisch. Hier wurde Shiva verehrt, der Schöpfer und Zerstörer, Mann und Frau in einer Person ist. Und hier, in My Son, hat man die männliche Seite verehrt. Und mit einem breiten Grinsen freute er sich über jeden prachtvollen Lingam und erklärte uns genau, wie bei den Festen Lingam und Yoni vereinigt wurden, wie in echt!!!
Lingam
In My Son verlief die Grenze zwischen indischen und chinesischen Einflüssen. Indochina. Doch von den alten Tempeln sind nur noch Ruinen übrig. Gleich bei der Anfahrt, nachdem er Team Tiger begründet hatte, brüllte unser Guide zwei Fragen in den Bus: 1. Warum haben die Amerikaner My Son bombadiert? 2. Wer hat den Statuen die Köpfe abgeschlagen?
Nachdem wir dann alles angeschaut hatten, die Ruinen, die Lingams und Yonis, die Reste von Ganesha, Shiva und anderen indischen Gottheiten und auch die Bombenkrater und die beiden übriggebliebenen Bomben, gab er uns die Antworten: Die Amerikaner haben My Son bombadiert, weil die Vietcong auf der Flucht vor Agent Orange hierher geflüchtet waren. Die Franzosen haben den Statuen die Köpfe abgeschlagen, bevor sie sich aus Vietnam zurückzogen. Sie sind heute im Louvre zu bestaunen.
Amerikanische Bombe
So wurde die Tempelbesichtigung zu einer Lektion in vietnamesischer Geschichte. Unter Agent Orange leidet das Land noch immer. In Hanoi habe ich eine junge Schweizerin kennengelernt, die als Freiwillige ein paar Wochen in einem Behindertenheim gearbeitet hat. Noch heute kommen missgebildete Kinder zur Welt, weil die vergiftete Erde ja nicht einfach weggeschaufelt werden kann und sich die Genschäden über Generationen auswirken.
Zwischendurch ließ unser wunderbarer Guide noch eine Bemerkung fallen, die mich aufhorchen ließ: ein Taifun sei im Anmarsch. In Zentralvietnam ist jetzt Regenzeit und da sind Taifune, die oft mit schlimmen Überschwemmungen einhergehen, nicht selten. Auf der Rückfahrt fiel mir dann auf, dass viele Vietnamesen schon Sandsäcke auf ihre Dächer packten und ich habe zugesehen, dass ich Land gewinne. So habe ich mich dann gleich am nächsten Tag aus dem Staub gemacht und bin früher als geplant in die Berge gefahren, nach Dalat. Doch das ist eine andere Geschichte!
Dämmerung in den Tropen (Blick von meinem Balkon)
Die Welt ist doch ein Märchen, ich hab’s immer gewusst! Mal gut , dass du dich für diesen Beweis auf die Socken gemacht hast 😉 Sehr eindrucksvolle Momente und Fotos. Ich bin ganz traurig, weil ich so etwas nie mehr erlebe, wahrscheinlich! Schnüff! Kuss Stefanie
Du öffnest meine Sinne und nimmst mich mit, auf eine Reise zu dir. Danke!
Hug you, Marita!